Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Phoenix an, um Seth herauszufordern. Was das Lebenshaus anbelangte, konnten wir nur hoffen, dass wir den Magiern nicht begegneten, während wir unsere Arbeit erledigten. Vielleicht hätten sie ja eine bessere Meinung von uns, wenn wir mit Seth fertig waren. Vielleicht …
Ich dachte ununterbrochen an Desjardins und überlegte, ob er tatsächlich ein Gastkörper für Seth sein konnte. Einen Tag zuvor war es mir völlig plausibel erschienen. Desjardins wollte die Familie Kane fertigmachen. Er hatte unseren Dad gehasst und er hasste uns. Er hatte Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte auf Iskanders Tod gewartet, um zum Obersten Vorlesepriester zu werden. Macht, Wut, Arroganz, Ehrgeiz: Nichts davon war Desjardins fremd. Falls Seth nach einem Seelenverwandten Ausschau hielt, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, konnte er es nicht besser treffen. Und wenn Seth einen Krieg zwischen den Göttern und den Magiern anzetteln wollte, indem er vom Obersten Vorlesepriester Besitz ergriff, würden dabei nur die Kräfte des Chaos profitieren. Außerdem war es einfach, Desjardins zu hassen. Irgendjemand hatte Sabotage an Amos’ Haus verübt und Seth gewarnt, dass Amos im Anzug war.
Doch dass Desjardins all die Menschen im Flugzeug gerettet hatte – das war etwas, das der Lord des Bösen nicht tun würde.
Während Sadie und ich immer wieder eindösten, wechselten sich Bastet und Cheops mit dem Fahren ab. Ich hatte nicht gewusst, dass Paviane Wohnmobile fahren konnten, aber Cheops stellte sich geschickt an. Als ich im Morgengrauen aufwachte, steuerte er gerade durch den Berufsverkehr von Houston, fletschte die Reißzähne und bellte ununterbrochen, keinem der anderen Fahrer schien allerdings etwas Ungewöhnliches aufzufallen.
Während die Türen der Wandschränke aufschlugen und die Teller klapperten und draußen Kilometer um Kilometer Nichts vorbeizog, frühstückten Sadie, Bastet und ich in der Küche des Wohnmobils. Bastet hatte uns vor der Abfahrt ein paar Snacks und Getränke (und natürlich Friskies) aus einem Spätkauf in New Orleans organisiert, doch keiner hatte großen Hunger. Bastet wirkte besorgt. Die meisten Polster im Wohnmobil hatte sie bereits zerfetzt, nun diente ihr der Küchentisch als Kratzbaum.
Sadie öffnete und schloss die Hand und starrte auf die Feder der Wahrheit, als wäre sie ein Telefon, von dem sie hoffte, es würde klingeln. Seit sie in der Halle der beiden Wahrheiten gewesen war, verhielt sie sich distanziert und still. Nicht dass ich mich etwa beschwere, aber es passte so überhaupt nicht zu ihr.
»Was war denn mit Anubis?«, fragte ich sie zum tausendsten Mal.
Sie warf mir einen Blick zu, als würde sie mir am liebsten den Kopf abreißen. Doch dann beschloss sie offenbar, dass ich der Mühe nicht wert war. Sie richtete den Blick auf die leuchtende Feder, die über ihrer Hand schwebte.
»Wir haben geredet«, sagte sie vorsichtig. »Er hat mir ein paar Fragen gestellt.«
»Was für Fragen denn?«
»Carter, frag mich nicht. Bitte.«
Bitte? Also, das war definitiv nicht mehr Sadie.
Ich sah zu Bastet, aber sie war keine Hilfe. Mit ihren Krallen zerkleinerte sie das Resopal langsam in kleine Stückchen.
»Stimmt was nicht?«, fragte ich sie.
Die Katzengöttin starrte weiter auf den Tisch. »Ich hab euch im Land der Toten im Stich gelassen. Wieder mal.«
»Anubis hat dir Angst eingejagt«, beruhigte ich sie. »Das ist doch nicht schlimm.«
Bastet sah mich mit großen gelben Augen an und ich hatte das Gefühl, mit meiner Bemerkung alles nur noch schlimmer gemacht zu haben.
»Ich habe deinem Vater ein Versprechen gegeben, Carter. Im Tausch für meine Freiheit hat er mir eine Aufgabe übertragen, die noch wichtiger ist als der Kampf gegen die Schlange: Sadie zu beschützen – und falls es jemals notwendig sein sollte, euch beide zu beschützen.«
Sadie lief rot an. »Bastet, das ist … na ja, vielen Dank und so, aber wir sind wohl kaum wichtiger, als … du weißt schon, gegen ihn zu kämpfen.«
»Du verstehst es nicht«, erwiderte Bastet. »Ihr beide stammt nicht nur einfach von den Pharaonen ab, sondern seid die mächtigsten königlichen Kinder, die seit Jahrhunderten geboren wurden. Ihr seid die einzige Chance, die Götter und das Lebenshaus miteinander zu versöhnen und die alten Formen der Magie wieder zu erlernen, bevor es zu spät ist. Wenn ihr das tun würdet, könntet ihr nach anderen Kindern von königlichem Blut suchen und ihnen die alten Bräuche ebenfalls beibringen. Ihr
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