Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
könntet das Lebenshaus wiederbeleben. Was eure Eltern getan haben – alles, was sie getan haben –, sollte euch den Weg ebnen.«
Sadie und ich schwiegen. Was kann man auf so was auch antworten? Wahrscheinlich hatte ich immer gespürt, dass mich meine Eltern liebten, aber dass sie bereit waren, für mich zu sterben? Dass sie es für notwendig gehalten hatten, damit Sadie und ich irgendwelche Weltrettungsaktionen unternehmen konnten? Darum hatte ich nicht gebeten.
»Sie wollten euch nicht allein lassen«, erklärte Bastet, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Es war nicht ihr Plan, aber ihnen war bewusst, dass es gefährlich war, die Götter freizulassen. Glaubt mir, sie wussten, wie besonders ihr seid. Zuerst habe ich euch beide beschützt, weil ich es versprochen hatte. Jetzt würde ich es sogar tun, wenn ich das Versprechen nicht gegeben hätte. Ihr seid wie zwei kleine Katzen für mich. Ich werde euch nicht mehr im Stich lassen.«
Ich geb’s zu, ich hatte einen Kloß im Hals. Noch nie hatte mich jemand eine kleine Katze genannt.
Sadie schniefte. Sie wischte etwas unter ihrem Auge weg. »Du wirst uns aber nicht ablecken, oder?«
Es tat gut, Bastet wieder lächeln zu sehen. »Ich werde versuchen, mich zu beherrschen. Und übrigens, Sadie, ich bin stolz auf dich. Allein mit Anubis klarzukommen … Diese Totengötter können ganz schön fiese Kunden sein.«
Sadie zuckte die Achseln. Sie schien sich seltsam unwohl zu fühlen. »Na ja, fies würde ich ihn nicht unbedingt nennen. Er war einfach bloß ein Junge.«
»Wovon redest du?«, fragte ich. »Er hatte einen Schakalkopf.«
»Nein, ich rede von dem Moment, als er sich in einen Menschen verwandelt hat.«
»Sadie …« Allmählich machte ich mir Sorgen um sie. »Als Anubis sich in einen Menschen verwandelte, hatte er immer noch einen Schakalkopf. Er war riesig und furchterregend und, tja, ziemlich fies. Wie hat er denn für dich ausgesehen?«
Ihre Wangen röteten sich. »Er sah … wie ein Sterblicher aus.«
»Vielleicht ein Zauber«, meinte Bastet.
»Nein«, beharrte Sadie. »Das kann nicht sein.«
»Ist ja auch nicht so wichtig«, sagte ich. »Wir haben die Feder.«
Sadie zappelte herum, als wäre es sehr wohl wichtig. Dann aber schloss sie die Hand und die Feder der Wahrheit verschwand. »Ohne Seths geheimen Namen wird sie uns nicht viel nützen.«
»Schon in Arbeit.« Bastet sah sich in der Wohnmobilküche um – als ob sie Angst hätte, belauscht zu werden. »Ich habe einen Plan. Aber er ist riskant.«
Ich beugte mich vor. »Wie sieht er aus?«
»Wir müssen einen Zwischenstopp einlegen. Ich will uns lieber nicht unnötig in Gefahr bringen, bevor wir näher an Seth sind, aber es liegt auf dem Weg. Sollte uns nicht lange aufhalten.«
Ich versuchte zu rechnen. »Heute ist der zweite Dämonentag?«
Bastet nickte. »An diesem Tag wurde Horus geboren.«
»Und morgen, am dritten Dämonentag, ist Seths Geburtstag. Das heißt, wir haben ungefähr vierundzwanzig Stunden, bevor er Nordamerika zerstört.«
»Und falls er uns in die Finger kriegen sollte«, fügte Sadie hinzu, »wird er sogar noch mächtiger.«
»Die Zeit wird schon ausreichen«, sagte Bastet. »Von New Orleans nach Phoenix braucht man ungefähr vierundzwanzig Stunden und wir sind schon über fünf Stunden unterwegs. Wenn wir nicht noch mehr unangenehme Überraschungen erleben –«
»So wie bisher jeden Tag?«
»Ja«, räumte Bastet ein. »Genau so.«
Ich atmete tief durch. Vierundzwanzig Stunden und es wäre vorbei, so oder so. Wir würden Dad retten und Seth aufhalten oder alles wäre umsonst gewesen – nicht nur das, was Sadie und ich unternommen hatten, sondern auch die Opfer, die unsere Eltern gebracht hatten. Plötzlich hatte ich wieder das Gefühl, unter der Erde zu sein, in einem dieser Tunnel im Ersten Nomos, mit Tausenden von Tonnen Fels über meinem Kopf. Ein kleines Rucken in der Erde und alles würde zusammenkrachen.
»Okay«, sagte ich. »Falls ihr mich braucht, ich bin draußen und spiele mit scharfen Gegenständen.«
Ich schnappte mir mein Schwert und ging zur Hintertür des Wohnmobils.
Ich hatte noch nie zuvor ein Wohnmobil mit Veranda gesehen. Das Schild auf der Hintertür warnte davor, sie während der Fahrt zu betreten, aber ich machte es trotzdem.
Es war nicht gerade optimal, um Schwertkampf zu üben. Die Veranda war zu schmal und zwei Stühle nahmen fast den ganzen Platz ein, außerdem pfiff mir der kalte Wind um die Ohren und bei jeder
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