Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
unberechenbar, aber sie hat sich früher schon gegen ihren Mann gestellt. Es besteht also Hoffnung.«
Für mich klang das nicht gerade vielversprechend. Ich starrte auf den Fluss tief unter uns. »Warum hast du auf dem Berg geparkt? Warum nicht in der Nähe der Stadt?«
Bastet zuckte mit den Schultern, als hätte sie sich darüber gar keine Gedanken gemacht. »Katzen sind gern so weit oben wie möglich. Für den Fall, dass wir auf etwas draufspringen müssen.«
»Toll«, meinte ich. »Falls wir also springen müssen, sind wir ja gut vorbereitet.«
»Es ist nicht so schlimm«, erwiderte Bastet. »Wir klettern einfach den Berg hinunter, durch ein paar Kilometer Sand, Kakteen und Klapperschlangen, bis zum Fluss, nehmen uns vor der Grenzpatrouille in Acht, vor Menschenschmugglern, Magiern und Dämonen – und rufen Nephthys herbei.«
Sadie gab einen Pfiff von sich. »Ich kann’s kaum erwarten!«
»Agh« , stimmte Cheops kläglich zu. Er schnüffelte und knurrte.
»Er wittert Ärger«, übersetzte Bastet. »Irgendwas Schlimmes wird passieren.«
»Das kann sogar ich riechen«, murrte ich. Wir folgten Bastet den Berg hinunter.
Ja, sagte Horus. An diesen Ort erinnere ich mich.
Wir sind in El Paso, erklärte ich ihm. Falls du nicht irgendwann mal mexikanisch essen warst, bist du hier nie gewesen.
Ich erinnere mich gut, beharrte er. An den Sumpf, die Wüste.
Ich blieb stehen und sah mich um. Plötzlich erinnerte auch ich mich an diesen Ort. Knapp fünfzig Meter vor uns fächerte sich der Fluss in einen Morast auf – und grub mit einem Netz aus träge fließenden Nebenarmen eine Art flache Schneise in die Wüste. An den Ufern wucherte hohes Sumpfgras. Sicher gab es irgendeine Art Überwachung, schließlich war es eine Grenze. Ich konnte allerdings nichts entdecken.
Ich war in Ba-Gestalt hier gewesen. Ich konnte mir eine Hütte hier in diesem Sumpf vorstellen, wo sich Isis und der kleine Horus vor Seth versteckten. Und ein wenig weiter den Fluss hinunter – dort hatte ich etwas Dunkles gespürt, das sich unter Wasser bewegte und mir auflauerte.
Als Bastet nur noch ein paar Schritte vom Fluss entfernt war, hielt ich sie am Arm fest. »Geh nicht näher ans Wasser heran.«
Sie sah mich fragend an. »Carter, ich bin eine Katze. Ich geh nicht schwimmen. Aber wenn man eine Flussgöttin herbeirufen will, muss man das eben am Flussufer tun.«
Das klang aus ihrem Mund so logisch, dass ich mir blöd vorkam. Trotzdem wurde ich dieses Gefühl nicht los, dass etwas Schlimmes passieren würde.
Was ist es?, fragte ich Horus. Was ist die Herausforderung?
Doch mein mitreisender Gott schwieg sich nervtötenderweise aus, als wartete er auf etwas.
Sadie schleuderte einen Felsbrocken in das trübe braune Wasser. Er versank mit einem lauten Plong .
»Sieht doch eigentlich ganz ungefährlich aus«, meinte sie und schlenderte zum Ufer hinunter.
Cheops folgte zögerlich. Als er das Wasser erreichte, schnüffelte er wieder und knurrte.
»Siehst du?«, sagte ich. »Nicht mal Cheops gefällt es.«
»Vielleicht ist es eine ererbte Erinnerung«, schlug Bastet vor. »In Ägypten war der Fluss ein gefährlicher Ort. Schlangen, Nilpferde, alle möglichen Probleme.«
»Nilpferde?«
»Unterschätz sie nicht«, warnte Bastet. »Nilpferde können tödlich sein.«
»Wurde Horus von einem angegriffen?«, fragte ich. »Ich meine damals, als Seth hinter ihm her war?«
»Davon hab ich noch nie gehört«, antwortete Bastet. »Normalerweise wird erzählt, dass Seth zuerst Skorpione eingesetzt hat. Später dann Krokodile.«
»Krokodile«, wiederholte ich und mir lief es kalt den Rücken hinunter.
Ist es das?, fragte ich Horus. Aber wieder gab er keine Antwort. »Bastet, gibt es im Rio Grande Krokodile?«
»Das bezweifle ich sehr.« Sie kniete sich am Ufer hin. »So, Sadie, übernimmst du die Begrüßung?«
»Wie?«
»Bitte Nephthys einfach, zu erscheinen. Sie war die Schwester von Isis. Falls sie irgendwo auf dieser Seite der Duat ist, sollte sie deine Stimme hören.«
Sadie sah skeptisch aus, doch sie ließ sich neben Bastet nieder und berührte das Wasser. Ihre Fingerspitzen lösten Kreise aus, die viel zu groß schienen, Kraftringe, die sich auf dem ganzen Fluss ausbreiteten.
»Hallo, Nephthys?«, fragte sie. »Jemand zu Hause?«
Weiter den Fluss hinunter hörte ich Platschen. Als ich mich umdrehte, sah ich eine mexikanische Familie in der Mitte des Flusses. Ich hatte schon mal gehört, dass Tausende von Menschen jedes Jahr
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