Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
bloß die Hälfte, die aus dem Wasser herausschaute. Seine graugrüne Haut, die wie eine Tarnrüstung aussah, war mit dicken Platten bedeckt und seine Augen hatten die Farbe saurer Milch.
Die Familie kreischte und fing an, die Uferböschung hinaufzuklettern. Damit lenkten sie die Aufmerksamkeit des Krokodils auf sich. Es wandte sich instinktiv der lauteren, interessanteren Beute zu. Ich hatte Krokodile immer für langsame Tiere gehalten, doch das Tempo, mit dem es sich auf die Familie stürzte, schlug alles, was ich bisher gesehen hatte.
Nutze die Ablenkung, drängte Horus. Stell dich hinter das Krokodil und schlag zu.
Stattdessen schrie ich: »Sadie, Bastet, Hilfe!«, und warf mein Zaubermesser.
Voll daneben. Das Zaubermesser klatschte genau vor dem Krokodil ins Wasser, dann schnellte es jedoch wie ein Stein von der Wasseroberfläche zurück, traf das Krokodil zwischen den Augen und flog wieder in meine Hand.
Ich bezweifelte, dass ich irgendwelchen Schaden angerichtet hatte, das Krokodil sah allerdings genervt zu mir herüber.
Du kannst ihm auch eins mit dem Stock überziehen, murmelte Horus.
Ich stürzte vor und brüllte, um die Aufmerksamkeit des Krokodils auf mich zu lenken. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie sich die Familie in Sicherheit brachte. Cheops rannte hinter ihnen her, er schwenkte die Arme und bellte, weil er sie von der Gefahr wegtreiben wollte. Ich war nicht sicher, ob sie vor dem Krokodil oder dem wild gewordenen Affen davonrannten, doch solange sie rannten, war es mir egal.
Ich konnte nicht sehen, was mit Bastet und Sadie los war. Hinter mir hörte ich Schreie und Platschen, doch bevor ich nachsehen konnte, stürzte sich das Krokodil auf mich.
Ich duckte mich nach rechts und schlug mit meinem Schwert zu. Die Klinge prallte von der Haut einfach ab. Das Ungeheuer warf sich zur Seite und hätte mir mit seiner Schnauze den Schädel eingeschlagen, wenn ich nicht instinktiv mein Zaubermesser hochgehalten hätte. Das Krokodil knallte gegen eine Kraftwand und prallte ab, als würde ich von einer gigantischen unsichtbaren Energieblase geschützt.
Ich versuchte, den Falkenkrieger herbeizurufen, aber im Angesicht eines Sechs-Tonnen-Reptils, das mich zweiteilen wollte, war es mit der Konzentration nicht so einfach.
Da hörte ich Bastet schreien: »NEIN!«, und selbst ohne hinzusehen, wusste ich sofort, dass mit Sadie etwas nicht stimmte.
Verzweiflung und Wut verwandelten meine Nerven in Drahtseile. Ich streckte die Hand mit dem Zaubermesser vor und die Kraftwand krachte mit solcher Wucht gegen das Krokodil, dass es durch die Luft wirbelte, anschließend taumelte es aus dem Fluss und ans mexikanische Ufer. Während es noch auf dem Rücken lag, zappelte und sein Gleichgewicht wiederzufinden versuchte, stürzte ich dem Krokodil hinterher, hob mein Schwert, das jetzt in meinen Händen leuchtete, und rammte dem Ungeheuer die Klinge in den Bauch. Ich stach immer wieder zu, während das Krokodil um sich schlug und sich langsam von der Schnauze bis zur Schwanzspitze auflöste; am Ende stand ich vor einem Riesenhaufen feuchtem Sand.
Ich drehte mich um und sah, dass Bastet gegen ein ebenso riesiges Krokodil kämpfte. Das Krokodil stürzte sich auf sie, doch als sie unter ihm lag, schlitzte Bastet ihm mit ihren Messern die Kehle auf. Das Krokodil löste sich im Fluss auf und nach einer Weile war es nur noch eine trübe Sandwolke. Doch es war zu spät: Sadie lag zusammengekrümmt am Ufer.
Als ich sie schließlich erreichte, waren Cheops und Bastet bereits bei ihr. Aus Sadies Kopfhaut sickerte Blut. Ihr Gesicht hatte eine ungesunde gelbliche Farbe.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
»Es ist plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht«, erzählte Bastet kläglich. »Sein Schwanz traf Sadie und schleuderte sie durch die Luft. Sie hatte nicht die geringste Chance. Ist sie …?«
Cheops legte seine Hand auf Sadies Stirn und machte mit dem Mund Schmatzgeräusche.
Bastet seufzte erleichtert. »Cheops sagt, sie wird überleben, aber wir müssen sie hier wegschaffen. Diese Krokodile … Das könnte bedeuten …«
Sie redete nicht weiter. Auf dem Fluss brodelte das Wasser. Die Gestalt, die jetzt auftauchte, war so schrecklich, dass ich wusste, wir waren dem Untergang geweiht.
»Es könnte das hier bedeuten«, fuhr Bastet grimmig fort.
Erst mal war der Typ sieben Meter hoch – und ich rede hier nicht von einem leuchtenden Avatar. Alles an ihm war Fleisch und Blut. Sein Oberkörper und seine Arme waren
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