Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
zitterte. »Das können Sie nicht machen. Ich kann nicht glauben –«
»Sie dürfen sich in Ruhe verabschieden«, unterbrach sie der Kommissar. Dann runzelte er die Stirn, als sei er selbst über sein Handeln verblüfft. »Ich – ich muss los.«
Das ergab alles keinen Sinn, und obwohl das auch dem Kommissar bewusst zu sein schien, ging er zur Haustür. Als er sie öffnete, sprang ich fast aus meinem Sessel, denn dort stand der Mann in Schwarz, Amos. Seinen Trenchcoat und seinen Hut hatte er irgendwo verloren, aber er trug noch immer denselben Nadelstreifenanzug und die runde Brille. In seinen Zöpfchen glitzerten goldene Perlen.
Ich erwartete, dass der Kommissar etwas sagen würde oder überrascht wäre, aber er bemerkte Amos nicht einmal. Er lief einfach an ihm vorbei in die Nacht hinaus.
Amos trat ins Haus und schloss die Tür hinter sich. Gran und Gramps erhoben sich.
»Sie«, knurrte Gramps. »Hätte ich mir ja denken können. Wäre ich jünger, würde ich Hackfleisch aus Ihnen machen.«
»Hallo, Mr und Mrs Faust«, begrüßte Amos sie. Er betrachtete Carter und mich wie ein Problem, das gelöst werden musste. »Es wird Zeit, dass wir uns unterhalten.«
Amos machte es sich erst mal gemütlich. Er ließ sich auf ein Sofa fallen und schenkte sich Tee ein. Danach mampfte er einen Keks, eine ziemlich gefährliche Aktion, denn Grans Kekse sind grauenvoll.
Ich dachte, Gramps’ Kopf würde explodieren. Sein Gesicht lief knallrot an. Er stellte sich hinter Amos und hob die Hand, als wolle er ihn schlagen, aber Amos mampfte einfach seinen Keks weiter.
»Setzt euch, bitte«, forderte er uns auf.
Und tatsächlich setzten wir uns alle hin. Es war völlig abgefahren – als hätten wir auf seinen Befehl gewartet. Selbst Gramps ließ die Hand sinken, lief ums Sofa herum und setzte sich empört aufseufzend neben Amos.
Der schlürfte seinen Tee und betrachtete mich mit Missfallen. Das ist nicht fair, dachte ich. Sooo schlecht sah ich nach allem, was wir hinter uns hatten, nicht aus. Dann sah er zu Carter und grunzte.
»Furchtbarer Zeitpunkt«, brummte er. »Aber es geht nicht anders. Die Kinder müssen mit mir kommen.«
»Wie bitte?«, fragte ich. »Mit einem Fremden, dem Keks im Gesicht klebt, gehe ich nirgendwohin!«
Er hatte tatsächlich ein paar Kekskrümel im Gesicht, aber es war ihm anscheinend egal, denn er kümmerte sich nicht weiter darum.
»Ich bin kein Fremder, Sadie«, erklärte er. »Erinnerst du dich nicht?«
Es war gruselig, ihn so vertraut mit mir reden zu hören. Ich hatte das Gefühl, ich sollte ihn kennen. Ich sah zu Carter, aber er schien auch keinen blassen Schimmer zu haben.
»Nein, Amos«, sagte Gran zitternd. »Sie dürfen Sadie nicht mitnehmen. Wir hatten eine Abmachung.«
»Diese Abmachung hat Julius heute Nacht gebrochen«, erwiderte Amos. »Sie wissen selbst, dass Sie nach dieser Sache nicht mehr für Sadie sorgen können. Die Kinder haben nur eine Chance, wenn sie mit mir kommen.«
»Warum sollten wir mit Ihnen irgendwohin gehen?«, fragte Carter. »Sie haben sich fast mit Dad geschlagen!«
Amos sah zu der Arbeitstasche in Carters Schoß. »Wie ich sehe, hast du die Tasche deines Vaters an dich genommen. Das ist gut. Du wirst sie brauchen. Und was Schlägereien angeht, davon hatten Julius und ich eine ganze Menge. Falls es dir nicht aufgefallen ist, Carter, ich habe versucht, ihn von überstürzten Handlungen abzuhalten. Hätte er auf mich gehört, befänden wir uns nicht in dieser Situation.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, doch Gramps schien ihn zu verstehen.
»Sie und Ihr Aberglaube!«, rief er. »Ich hab Ihnen doch schon erklärt, dass wir damit nichts zu tun haben wollen.«
Amos deutete auf die Terrasse. Durch die Glastüren sah man die Lichter, die sich auf der Themse spiegelten. Nachts, wenn man nicht erkannte, wie heruntergekommen manche der Häuser aussahen, war es ein ziemlich schöner Ausblick.
»Aberglaube, ach ja?«, fragte Amos. »Und trotzdem haben Sie sich ein Plätzchen am Ostufer des Flusses gesucht.«
Gramps lief noch röter an. »Das war Rubys Idee. Sie dachte, das würde uns schützen. Aber sie hat sich in vielem getäuscht, oder? Zum Beispiel hat sie Julius und Ihnen vertraut!«
Amos wirkte unbeeindruckt. Er roch interessant – nach altertümlichen Gewürzen, Kopal und Amber, wie in den Läden in Covent Garden, wo Räucherwerk verkauft wurde.
Er trank seinen Tee aus und sah Gran ins Gesicht. »Mrs Faust, Sie wissen, dass es angefangen
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