Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Williams hob entschuldigend die Hand, aber ich kochte immer noch vor Wut. Sosehr mir Carter auf die Nerven ging, ich hasste es, wenn Leute dachten, wir wären nicht verwandt, oder wenn sie meinen Vater misstrauisch beäugten, wenn er uns drei als Familie bezeichnete – als hätten wir etwas falsch gemacht. Der dämliche Dr. Martin im Museum. Kommissar Williams. Es passierte jedes Mal, wenn Dad, Carter und ich zusammen waren. Jedes einzelne Mal, verdammt.
»Es tut mir leid, Sadie«, sagte der Kommissar. »Ich wollte bloß die Unschuldigen und die Schuldigen auseinanderhalten. Wenn du mit uns zusammenarbeitest, wird es für alle einfacher. Irgendeine Information. Irgendwas, das dein Vater gesagt hat. Personen, die er möglicherweise erwähnt hat.«
»Amos«, platzte ich heraus, nur um zu sehen, wie er reagierte. »Er hat einen Mann namens Amos getroffen.«
Kommissar Williams seufzte. »Sadie, das kann nicht sein. Das ist dir sicher klar. Wir haben vor weniger als einer Stunde mit Amos telefoniert. Er befand sich zu Hause in New York.«
»Er ist nicht in New York!«, beharrte ich. »Er ist genau –«
Ich warf einen Blick aus dem Fenster, aber Amos war verschwunden. War ja klar.
»Das kann nicht sein«, sagte ich.
»Genau«, antwortete der Kommissar.
»Aber er war hier!«, rief ich. »Wer ist er? Einer von Dads Kollegen? Woher wussten Sie von ihm?«
»Hör zu, Sadie. Dieses Theater muss aufhören.«
»Theater?«
Der Kommissar musterte mich einen Augenblick, dann schob er den Unterkiefer vor, als habe er eine Entscheidung gefällt. »Wir haben die Wahrheit bereits von Carter gehört. Ich will nicht, dass du dich aufregst, aber er hat uns alles erzählt. Ihm ist klar, dass es keinen Sinn mehr hat, euren Vater zu verteidigen. Du kannst uns also genauso gut helfen, es wird keine Anklage gegen dich erhoben werden.«
»Sie sollten Kinder nicht anlügen!«, brüllte ich und hoffte, dass man meine Stimme unten hörte. »Carter würde nie etwas gegen Dad sagen und dasselbe gilt für mich!«
Der Kommissar besaß nicht mal den Anstand, verlegen auszusehen.
Er verschränkte die Arme. »Es ist wirklich schade, dass du das so siehst, Sadie. Ich denke, wir gehen jetzt besser nach unten … um uns mit deinen Großeltern über die Konsequenzen zu unterhalten.«
4.
Wir werden von jemandem entführt, der uns bekannt vorkommt
Familienfeste sind echt das Größte. Richtig gemütlich mit Weihnachtsgirlanden um den Kamin und einer schönen Tasse Tee und einem Ermittler von Scotland Yard, der einen einknasten will.
Carter lümmelte auf dem Sofa und umklammerte Dads Arbeitstasche. Warum hatte ihm die Polizei erlaubt, sie zu behalten? Sie musste doch eigentlich ein Beweisstück oder so etwas sein, der Kommissar schien sie jedoch überhaupt nicht wahrzunehmen.
Carter sah mies aus – will heißen: noch schlimmer als sonst. Mal ehrlich, der Junge ist nie auf einer ordentlichen Schule gewesen, trotzdem kleidet er sich wie ein Assistenzprofessor; er trug Khakihosen, Button-down-Hemd und Slipper. Eigentlich sieht er gar nicht so übel aus. Er ist einigermaßen groß und sportlich und seine Haare sind auch nicht völlig hoffnungslos. Er hat Dads Augen und meine Freundinnen Liz und Emma fanden ihn auf dem Foto sogar scharf , was ich nicht ganz ernst nehme, denn a) ist er mein Bruder und b) sind meine Freundinnen ein bisschen durchgeknallt. Wenn es um Klamotten geht, würde Carter was Scharfes nicht mal dann erkennen, wenn es ihn in den Hintern beißt.
[Mensch, glotz mich nicht so an, Carter. Ist doch so.]
Ich hätte ihn jedenfalls nicht so hart anpacken sollen. Ihm geht Dads Verschwinden noch schlimmer an die Nieren als mir.
Gran und Gramps saßen links und rechts von ihm und wirkten ziemlich nervös. Auf dem Tisch standen eine Kanne Tee und ein Teller Kekse, doch keiner nahm sich etwas. Hauptkommissar Williams wies mir den einzig freien Sessel zu. Dann marschierte er wichtigtuerisch vor dem Kamin auf und ab. Neben der Haustür standen zwei weitere Polizisten – die Frau von vorhin und ein bulliger Typ, der wie ein Gorilla aussah.
»Mr und Mrs Faust«, fing Kommissar Williams an. »Ich fürchte, diese beiden Kinder wollen nicht mit uns zusammenarbeiten.«
Gran spielte mit dem Saum ihres Kleides herum. Es ist schwer, sich vorzustellen, dass sie mit Mom verwandt war. Gran war zerbrechlich und farblos, wirklich wie ein Strichmännchen, während Mom auf allen Fotos immer strahlend und richtig lebendig aussieht. »Es sind
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