Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
hatte man den ägyptischen Teil des Museums so verwirrend wie möglich gestaltet, mit Sackgassen oder Korridoren, die im Kreis führten. Wir kamen an Hieroglyphenschriftrollen vorbei, Goldschmuck, Sarkophagen, Pharaonenstatuen und großen Kalksteinbrocken. Warum stellt jemand einen Steinbrocken aus? Gibt es davon nicht genug auf der Welt?
Wir begegneten niemandem, doch egal in welche Richtung wir rannten, die klackernden Geräusche wurden immer lauter. Schließlich bog ich um eine Ecke und rannte direkt in jemanden hinein.
Ich schrie auf, taumelte rückwärts und stolperte natürlich über Carter. Wir fielen beide ziemlich unelegant auf den Hintern. Ein Wunder, dass Carter sich nicht mit seinem Schwert aufgespießt hat.
Dass ich das Mädchen, das vor uns stand, zuerst nicht wiedererkannte, kommt mir im Nachhinein komisch vor. Vielleicht verwendete sie eine Art magische Aura, vielleicht wollte ich es auch einfach nicht wahrhaben, dass sie es war.
Sie wirkte ein bisschen größer als ich. Vielleicht auch älter, aber nicht sehr viel. Ihr kinnlanges schwarzes Haar umrahmte ihr Gesicht und fiel ihr in die Augen. Sie hatte karamellfarbene Haut und hübsche, leicht arabisch anmutende Züge. Ihre Augen – ägyptisch mit Kajal umrandet – hatten eine seltsame Bernsteinfarbe, die man entweder ziemlich schön oder ein bisschen erschreckend finden konnte; ich war noch nicht ganz entschieden. Sie trug einen Rucksack über der Schulter, Sandalen und locker sitzende Leinenkleider wie wir und sah aus, als wäre sie auf dem Weg zum Kampfsportunterricht. Mann, jetzt, wo ich darüber nachdenke, sahen wir wahrscheinlich ziemlich ähnlich aus. Wie peinlich.
Langsam dämmerte mir, dass ich sie schon einmal gesehen hatte. Es war das Mädchen mit dem Messer aus dem British Museum. Bevor ich ein Wort sagen konnte, sprang Carter auf. Er stellte sich vor mich und schwang sein Schwert, als wolle er mich beschützen . Unglaublich, oder?
»Zurück – zurück!«, stammelte er.
Das Mädchen griff in ihren Ärmel und zog ein gebogenes Stück Elfenbein heraus – ein ägyptisches Zaubermesser.
Als sie eine Seitwärtsbewegung machte, flog Carter das Schwert aus den Händen und polterte zu Boden.
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte das Mädchen streng. »Wo ist Amos?«
Carter sah zu verdattert aus, um zu sprechen. Das Mädchen wandte sich zu mir. Ich beschloss, ihre Augen sowohl schön als auch furchteinflößend zu finden und das Mädchen selbst ätzend.
»Und?«, wollte sie wissen.
Warum zum Teufel sollte ich überhaupt etwas antworten? Allerdings nahm der unangenehme Druck in meiner Brust immer mehr zu, es fühlte sich an, als wolle ein Rülpser heraus. Ich hörte mich sagen: »Amos ist verschwunden. Er ist heute Morgen weggegangen.«
»Und der Katzendämon?«
»Das ist meine Katze«, erwiderte ich. »Und sie ist eine Göttin, kein Dämon. Sie hat uns vor den Skorpionen gerettet!«
Carter taute wieder auf. Er schnappte sich sein Schwert und zielte von neuem auf das Mädchen. Vermutlich sollte ich den Hut ziehen vor seiner Hartnäckigkeit.
»Wer bist du?«, wollte er wissen. »Was willst du von uns?«
»Ich heiße Zia Rashid.« Sie legte den Kopf schief, als hörte sie etwas.
Wie auf Kommando ging ein Rumpeln durch das gesamte Gebäude. Von der Decke rieselte Staub und die klackernden Geräusche der Skorpione hinter uns wurden doppelt so laut.
»Und jetzt«, fuhr Zia fort und klang dabei ein bisschen enttäuscht, »muss ich eure erbärmlichen Leben retten. Auf geht’s.«
Wir hätten uns wahrscheinlich weigern können, aber da wir offensichtlich bloß die Wahl zwischen Zia und den Skorpionen hatten, rannten wir hinter ihr her.
Sie lief an einer Vitrine voller Statuen vorbei und klopfte beiläufig mit ihrem Stab gegen die Scheibe. Auf ihren Befehl hin erhoben sich winzige Granitpharaonen und Kalksteingötter. Sie sprangen von ihren Sockeln und krachten durch die Scheibe. Einige schwangen Waffen. Andere knackten einfach mit ihren steinernen Fingerknöcheln. Sie ließen uns vorbei, starrten jedoch auf den Gang hinter uns, als erwarteten sie den Feind.
»Beeilt euch«, befahl uns Zia. »Die sorgen bloß dafür, dass wir –«
»Zeit gewinnen«, riet ich. »Ja, das haben wir schon mal gehört.«
»Du redest zu viel«, meinte Zia, ohne stehen zu bleiben.
Fast hätte ich eine giftige Bemerkung fallengelassen. Ganz ehrlich, ich hätte ihr schon klargemacht, wo sie hingehört. Aber genau in diesem Moment betraten wir einen
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