Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
dem magischen Kampf unglaublich normal vorkam. Wir rannten den Bürgersteig hinunter, rempelten uns durch die Fußgängermenge und kletterten die Stufen zum Metropolitan Museum of Art hinauf.
Ein Transparent über dem Eingang kündigte irgendeine Weihnachtssonderveranstaltung an, wahrscheinlich war das Museum deshalb an einem Feiertag geöffnet, ich machte mir jedoch nicht die Mühe, die Einzelheiten zu lesen. Wir stürzten, ohne anzuhalten, in das Gebäude.
Wie es aussah? Na ja, es war ein Museum: große Eingangshalle, ein Haufen Säulen und so weiter. Ich kann nicht behaupten, dass ich mir viel Zeit genommen hätte, um die Ausstattung zu bewundern. An die Schlangen vor den Kassenfenstern kann ich mich noch erinnern, denn wir rannten einfach an ihnen vorbei. Es gab auch Wachpersonal, denn die brüllten hinter uns her, als wir in die Ausstellung stürmten. Zufälligerweise landeten wir in der ägyptischen Abteilung vor einer Art Nachbau eines Grabmals mit engen Gängen. Carter hätte vielleicht erklären können, was es mit der Konstruktion auf sich hatte, aber es war mir ehrlich gesagt egal.
»Komm«, sagte ich.
Wir schlüpften in das Grabmal, anscheinend reichte das aus, um die Wachleute abzuhängen, vielleicht hatten sie auch Besseres zu tun, als ungezogene Kinder zu verfolgen.
Als wir wieder rauskamen, schlichen wir so lange herum, bis wir sicher waren, dass uns niemand mehr folgte. Der ägyptische Flügel war nicht gerade überlaufen – nur ein paar Seniorengruppen und eine ausländische Reisegesellschaft mit einem Fremdenführer, der auf Französisch einen Sarkophag erklärte: »Et voici la momie!«
Merkwürdigerweise schien niemand das gewaltige Schwert auf Carters Rücken aufzufallen, das mit Sicherheit ein Thema für die Wachleute war (und viel interessanter als die Ausstellungsstücke). Ein paar alte Leute sahen uns schief an, aber das lag vermutlich daran, dass wir Leinenpyjamas trugen und völlig verschwitzt und voller Gras und Blätter waren. Meine Haare sahen wahrscheinlich auch albtraummäßig aus.
Ich entdeckte einen leeren Raum und zog Carter hinein. Die Glasvitrinen waren voller Uschebti. Vor ein paar Tagen hätte ich keinen Gedanken an sie verschwendet. Jetzt schaute ich mir die Statuen genau an und war mir sicher, dass sie jeden Moment zum Leben erwachen und mir eins überbraten würden.
»Was jetzt?«, fragte ich Carter. »Hast du irgendwo einen Tempel gesehen?«
»Nein.« Er zog die Augenbrauen zusammen, als versuche er angestrengt, sich zu erinnern. »Ich glaube, am Ende dieses Gangs steht ein wiederaufgebauter Tempel … oder war das im Brooklyn Museum? Oder in München? Tut mir leid, ich war mit Dad in so vielen Museen, dass ich alles durcheinanderbringe.«
Ich stieß einen Seufzer der Verzweiflung aus. »Armer Junge, da wurdest du gezwungen, die Welt zu bereisen, die Schule zu schwänzen und Zeit mit Dad zu verbringen, während ich zwei ganze Tage pro Jahr mit ihm hatte!«
»Hey!« Carter drehte sich mit überraschender Heftigkeit zu mir um. »Du hattest ein Zuhause ! Du hattest Freunde und ein normales Leben und bist nicht jeden Morgen aufgewacht und hast dich gefragt, in welchem Land du gerade bist! Du hast nicht –«
Die Glasvitrine neben uns zerbarst und Glassplitter flogen uns um die Füße.
Carter sah mich verdutzt an. »Haben wir gerade –?«
»Wie damals, als meine Geburtstagstorte explodiert ist«, brummte ich und versuchte meine Überraschung zu verbergen. »Du musst dich zusammenreißen.«
»Ich?«
Alarmglocken schrillten. In den Korridoren blinkten rote Lichter. Über Lautsprecher forderte eine verwirrte Stimme die Besucher dazu auf, sich ruhig zu den Ausgängen zu bewegen. Die französische Reisegruppe rannte an uns vorbei, alle schrien in Panik, ihnen folgte eine Herde erstaunlich schneller alter Leute mit Gehhilfen und Stöcken.
»Das diskutieren wir später aus, okay?«, sagte ich. »Los, komm!«
Wir rannten einen anderen Gang hinunter. Die Alarmglocken verstummten ebenso plötzlich, wie sie zu schrillen angefangen hatten. Die blutroten Zeichen blinkten in der unheimlichen Stille weiter. Dann hörte ich es: das schlitternde, klackernde Geräusch der Skorpione.
»Was ist mit Bastet?« Ich musste schlucken. »Ist sie –?«
»Denk nicht darüber nach«, sagte Carter, obwohl er – seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen – ebenfalls darüber nachdachte. »Renn weiter!«
Bald hatten wir uns hoffnungslos verlaufen. Soweit ich erkennen konnte,
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