Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
riesigen Saal und meine Stimme ließ mich im Stich.
»Wow!«, rief Carter.
Da konnte ich ihm nur zustimmen. Das Ganze war echt der Hammer .
Der Saal war so groß wie ein Fußballstadion. Eine Wand bestand komplett aus Glas und man konnte in den Park hinaussehen. In der Mitte des Raums, auf einer erhöhten Plattform, hatte man ein antikes Bauwerk rekonstruiert. Es gab ein frei stehendes, ungefähr acht Meter hohes Tor, dahinter einen offenen Hof und ein quadratisches Gebäude aus unebenen Sandsteinblöcken. In die gesamte Außenfläche waren Bilder von Göttern und Pharaonen sowie Hieroglyphen gemeißelt. Links und rechts des Eingangs standen zwei Säulen, die in ein seltsames Licht getaucht waren.
»Ein ägyptischer Tempel«, vermutete ich.
»Der Tempel von Dendur«, erklärte Zia. »Eigentlich wurde er von den Römern erbaut –«
»Als sie Ägypten besetzten«, fügte Carter hinzu, als wäre das eine erfreuliche Information. »Augustus hat ihn in Auftrag gegeben.«
»Ja«, bestätigte Zia.
»Faszinierend«, murmelte ich. »Soll ich euch beide mit einem Geschichtsbuch allein lassen?«
Zia warf mir einen bösen Blick zu. »Auf jeden Fall wurde der Tempel Isis geweiht und damit besitzt er genug Macht, um ein Tor zu öffnen.«
»Um noch mehr Götter herbeizurufen?«, fragte ich.
Zias Augen blitzten wütend. »Wenn du mir das noch mal unterstellst, schneide ich dir die Zunge raus. Ich meinte ein Tor, um euch hier rauszuschaffen.«
Ich fühlte mich völlig verloren, aber allmählich gewöhnte ich mich daran. Wir folgten Zia die Stufen hinauf und liefen durch das steinerne Tor des Tempels.
Da die Museumsbesucher geflohen waren, befand sich niemand im Innenhof, was irgendwie unheimlich war. Riesige in Stein gemeißelte Götterbilder starrten auf mich herunter. Überall waren Hieroglyphen-Inschriften und ich befürchtete, ich würde sie lesen können, wenn ich mich konzentrierte.
Zia blieb vor den Stufen des Tempels stehen. Sie hielt ihr Zaubermesser hoch und schrieb etwas in die Luft. Zwischen den Säulen leuchtete eine vertraute Hieroglyphe auf.
Öffne dich – dasselbe Symbol, das Dad beim Rosettastein benutzt hatte. Ich wartete darauf, dass etwas explodieren würde, doch die Hieroglyphe verblasste einfach.
Zia kramte in ihrem Rucksack. »Wir verschanzen uns hier, bis sich das Tor öffnen lässt.«
»Warum öffnen wir es nicht gleich?«, wollte Carter wissen.
»Portale können nur in günstigen Augenblicken erscheinen«, erklärte Zia. »Bei Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Mitternacht, Finsternis, bei bestimmten Sternenkonstellationen und zur genauen Geburtsstunde eines Gottes –«
»Ach, komm«, erwiderte ich. »Wie willst du denn all das wissen?«
»Man braucht Jahre, bis man den ganzen Kalender auswendig kann«, antwortete Zia. »Doch der nächste günstige Moment ist einfach: zwölf Uhr mittags. Das ist in exakt zehneinhalb Minuten.«
Sie hatte keine Uhr. Woher wusste sie so genau, wie spät es war? Aber das war gerade nicht die wichtigste Frage.
»Warum sollten wir dir trauen?«, fragte ich stattdessen. »Wenn ich mich recht entsinne, wolltest du uns im British Museum mit dem Messer aufschlitzen.«
»Das wäre wesentlich einfacher gewesen.« Zia seufzte. »Unglücklicherweise glauben meine Vorgesetzten, ihr könntet vielleicht unschuldig sein. Deshalb darf ich euch vorläufig nicht umbringen. Aber ich darf auch nicht zulassen, dass ihr dem Roten Lord in die Hände fallt. Deshalb … könnt ihr mir trauen.«
»Oh ja, das überzeugt mich«, gab ich zurück. »Mir ist ganz warm und kuschelig zumute.«
Zia holte vier kleine Statuen aus ihrem Rucksack – tierköpfige Männer, jeder von ihnen ungefähr fünf Zentimeter groß. Sie drückte mir die Figuren in die Hand. »Stell die Söhne des Horus in allen vier Himmelsrichtungen um uns herum auf.«
»Wie bitte?«
»Norden, Süden, Osten, Westen.« Sie sprach langsam, als wäre ich eine Vollidiotin.
»Ich kenne den Kompass! Aber –«
»Da ist Norden.« Zia deutete auf die Glaswand. »Überleg dir den Rest.«
Ich tat wie geheißen, auch wenn mir nicht einleuchtete, wie uns die kleinen Männer helfen sollten. In der Zwischenzeit reichte Zia Carter ein Stück Kreide und befahl ihm, einen Kreis um uns zu ziehen, der die Statuen miteinander verband.
»Magischer Schutz«, erklärte Carter. »So hat es Dad im British Museum auch gemacht.«
»Ja«, knurrte ich. »Und wir wissen ja alle, wie toll das geklappt hat.«
Carter überhörte meine
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