Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Londoner U-Bahn verloren hatten und wie ich mich gegruselt hatte, bis Dad mich endlich wiederfand. Ich erzählte ihr ein paar ziemlich peinliche Geschichten, die ich sonst noch nie jemandem erzählt hatte. Wem auch? Sadie schien mir zuzuhören. Zumindest hörte sie auf, mit den Flügeln zu schlagen. Ihr Atem ging langsamer. Sie wurde ganz ruhig und in ihren Augen flackerte keine Panik mehr.
»Okay, Sadie«, meinte ich schließlich. »Ich hab eine Idee. Wir werden es folgendermaßen machen.«
Ich nahm Dads Zauberkasten aus der Ledertasche. Die Tasche wickelte ich um meinen Unterarm und band sie, so gut ich konnte, mit dem Riemen fest. »Spring da drauf.«
Sadie flog hoch und landete auf meinem Handgelenk. Trotz meinem zusammengebastelten Armschutz gruben sich ihre scharfen Krallen in meine Haut.
»Wir bringen dich so hier raus«, erklärte ich. »Versuch es weiter. Entspann dich und konzentriere dich auf dein Leben als Mensch. Du kriegst das schon hin, Sadie. Ich weiß, dass du es schaffst. Bis dahin trage ich dich.«
»Ha.«
»Komm schon«, drängte ich. »Wir müssen Bastet finden.«
Mit meiner Milan-Schwester auf dem Arm ging ich zum Fahrstuhl, wo neben der Tür ein Geschäftsmann mit einem Trolley wartete. Er bekam große Augen, als er mich sah. Wahrscheinlich hab ich ziemlich seltsam ausgesehen – ein großer schwarzer Junge in zerlumpten ägyptischen Kleidern mit einem seltsamen Kasten unter dem einen Arm und einem Raubvogel auf dem anderen.
»Tag«, grüßte ich.
»Ich nehm die Treppe.« Er hastete davon.
Der Fahrstuhl brachte mich ins Erdgeschoss. Sadie und ich stellten uns draußen vor die Abflughalle. Ich verrenkte mir den Hals nach Bastet, wodurch ich die Aufmerksamkeit eines Polizisten erregte, der aufpasste, dass niemand zu lange hielt. Der Kerl runzelte die Stirn und kam schwerfällig auf mich zu.
»Ganz ruhig«, ermahnte ich Sadie. Statt meinem Bedürfnis davonzulaufen nachzugeben, machte ich auf dem Absatz kehrt und ging betont langsam durch die Drehtür.
Die Sache ist – die Nähe von Polizisten macht mich grundsätzlich nervös. Als ich sieben oder acht und noch ein süßer kleiner Junge war, hatte ich damit überhaupt kein Problem, doch ab dem Moment, als ich elf wurde, sahen mich alle mit diesem Blick an, der besagte: Was macht dieser Bengel da? Will er etwas stehlen? Ich weiß, es ist albern, aber so ist es nun mal. Ich behaupte nicht, dass es bei jedem Polizisten so ist, aber wenn es ausnahmsweise nicht passiert, dann – ist das eine erfreuliche Überraschung, sagen wir es mal so.
Das hier war eins der unerfreulichen Male. Ich wusste, dass mir der Bulle folgen würde, und ich wusste, ich müsste ruhig bleiben und weitergehen, als ob ich ein Ziel hätte … was mit einem Milan auf dem Arm nicht ganz so einfach ist.
Es waren Weihnachtsferien, der Flughafen war also ziemlich überlaufen – vor allem Familien standen in Schlangen vor den Ticketschaltern, Kinder stritten sich und Eltern befestigten Adressanhänger am Gepäck. Wie das wohl war? Ganz normale Ferien mit der Familie, keine magischen Probleme oder Ungeheuer, die Jagd auf einen machen?
Hör auf damit, ermahnte ich mich. Du hast ein paar Sachen zu erledigen.
Aber ich wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Würde Bastet hinter der Sicherheitskontrolle warten? Draußen? Als ich durch die Abflughalle lief, teilte sich die Menge. Die Leute starrten Sadie an. Ich wusste, dass ich nicht aussehen durfte, als wäre ich allein unterwegs. Es war bloß eine Frage der Zeit, bevor die Bullen –
»Junger Mann.«
Ich drehte mich um. Es war der Polizist von draußen. Als meine Vogel-Schwester zu kreischen anfing, wich der Bulle zurück und legte die Hand auf seinen Schlagstock.
»Haustiere sind hier drinnen verboten«, erklärte er mir.
»Ich habe Tickets …« Ich wollte in meine Tasche greifen. Dann fiel mir ein, dass Bastet unsere Tickets hatte.
Der Bulle sah mich böse an. »Du kommst besser mit.«
Plötzlich rief eine Frauenstimme: »Da bist du ja, Carter!«
Bastet kam herbeigeeilt und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so gefreut, eine ägyptische Gottheit zu sehen.
Irgendwie hatte sie es geschafft, sich umzuziehen. Sie trug einen roséfarbenen Hosenanzug, jede Menge Goldklunker, einen Kaschmirmantel – sie sah wie eine wohlhabende Geschäftsfrau aus. Den Bullen beachtete sie nicht weiter, stattdessen musterte sie mich und rümpfte die Nase. »Carter, ich habe dir gesagt,
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