Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
traurig.
»Oh.«
Sie sah auf die Lichter der Stadt unter uns. »Es hat mich gelehrt, meine Kinder wertzuschätzen, selbst Seth. Er hat schreckliche Dinge getan, das stimmt. Es liegt in seinem Wesen. Aber er ist immer noch mein Sohn und immer noch einer der Götter. Er spielt seine Rolle. Um ihn zu besiegen, musst du vielleicht andere Wege einschlagen, als du dir vorstellen kannst.«
»Möchtest du mir vielleicht ein paar Tipps geben?«
»Macht Thot ausfindig. Er wohnt seit neuestem in Memphis.«
»Memphis … in Ägypten?«
Nut lächelte. »Memphis, Tennessee. Vielleicht hält es der alte Schlaumeier aber tatsächlich für Ägypten. Da er so selten den Schnabel aus den Büchern nimmt, bezweifle ich, dass er den Unterschied bemerken würde. Du wirst ihn jedenfalls dort finden. Er kann dir Ratschläge geben. Pass trotzdem auf: Thot bittet oft um Gefallen. Manchmal ist er nur schwer zu durchschauen.«
»Daran gewöhne ich mich allmählich«, sagte ich. »Wie sollen wir dort hinkommen?«
»Ich bin die Göttin des Himmels. Bis Memphis kann ich euch eine sichere Reise garantieren.« Sie hob die Hand und in meinem Schoß erschien eine Mappe. Sie enthielt drei Flugtickets – Washington–Memphis, erste Klasse.
Ich sah sie fragend an. »Du bekommst vermutlich haufenweise Vielfliegermeilen?«
»So was Ähnliches«, stimmte Nut zu. »Doch je näher du Seth kommst, umso weniger kann ich dir helfen. Und auf der Erde kann ich dich auch nicht beschützen. Da fällt mir ein: Du musst bald aufwachen. Seths Lakai ist euch auf den Fersen.«
Ich setzte mich auf. »Wann ist er bei uns?«
»Es kann nur noch ein paar Minuten dauern.«
»Dann schick meine Seele zurück!« Ich kniff mich in meinen Geisterarm, was genauso schmerzhaft war wie bei einem normalen, doch nichts passierte.
»Gleich, Sadie«, versprach Nut. »Aber zwei Dinge musst du noch wissen. Ich habe während der Dämonentage fünf Kinder geboren. Wenn dein Vater alle fünf freigesetzt hat, solltest du dir überlegen: Wo steckt das fünfte?«
Ich zermarterte mir das Hirn, um mich an die Namen der fünf Kinder von Nut zu erinnern. Ziemlich schwierig, wenn mir mein Bruder, Mr Wikipedia, nicht half, auf solche Belanglosigkeiten zu kommen. Da gab es Osiris, den König, und Isis, seine Königin; Seth, den bösen Gott, und Horus, den Rächer. Doch das fünfte Kind von Nut, von dem Carter gesagt hatte, er könne sich nie an den Namen erinnern … Mit einem Mal fiel mir meine Vision im Gang der Zeitalter wieder ein – Osiris’ Geburtstag und die Frau in Blau, die Isis geholfen hatte, vor Seth zu fliehen. »Meinst du Nephthys, Seths Frau?«
»Denk darüber nach«, wiederholte Nut. »Und zum Schluss … möchte ich dich um einen Gefallen bitten.«
Sie öffnete die Hand und zog einen Umschlag heraus, der mit rotem Wachs versiegelt war. »Falls du Geb siehst … Kannst du ihm das geben?«
Ich bin früher schon gebeten worden, Nachrichten zu überbringen, allerdings nicht zwischen Göttern. Ehrlich, Nuts gequälter Gesichtsausdruck unterschied sich in nichts von dem meiner verknallten Freundinnen in der Schule. Ich fragte mich, ob sie je in ihr Notizbuch geschrieben hatte: GEB + NUT = WAHRE LIEBE oder MRS GEB.
»Ist doch das Mindeste, was ich tun kann«, versprach ich. »Und jetzt, wegen meiner Rückreise …«
»Gute Reise, Sadie«, wünschte die Göttin. »Und Isis, halt dich zurück.«
Der Geist von Isis grummelte in mir, als hätte ich angegammeltes Curry gegessen.
»Moment«, sagte ich, »was meinst du mit zurückhalten –?«
Bevor ich meinen Satz beenden konnte, erlosch meine Vision.
Ich erwachte in meinem eigenen Körper im Washington Monument. »Wir müssen los!«, rief ich.
Carter und Bastet schreckten überrascht zusammen. Sie waren bereits wach und packten ihre Sachen.
»Stimmt was nicht?«, wollte Carter wissen.
Während ich wie verrückt meine Taschen durchsuchte, erzählte ich ihnen von meiner Vision. Nichts. Ich schaute in meiner Magiertasche nach. Darin lagen neben meinem Zaubermesser und dem Zauberstab drei Flugtickets und ein versiegelter Umschlag.
Bastet inspizierte die Tickets. »Hervorragend! In der ersten Klasse gibt es Lachs.«
»Aber was ist mit Seths Lakai?«, fragte ich.
Carter sah aus dem Fenster. Er bekam große Augen. »Tja, ähm … der ist da draußen.«
CARTER
21.
Tante Kitty eilt uns zu Hilfe
Ich hatte früher schon Bilder dieses Geschöpfs gesehen, allerdings konnten Bilder nicht annähernd einfangen, wie
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