Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
dass sein Gesicht im Schatten verborgen war.
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Das war gemein. Ich könnte es nur nicht ertragen …«
Ich war so durcheinander, dass ich nicht mehr wusste, was ich sagen sollte oder was ich fühlte. Ich wusste bloß, dass ich Walt nicht verlieren wollte.
»Hast du das ernst gemeint?«, fragte ich. »Als du gesagt hast, du wolltest Zeit … du weißt schon.«
Walt zuckte die Achseln. »Ist das nicht offensichtlich?«
Ich gab keine Antwort, aber, hallo – bei Jungs ist nichts offensichtlich. Dafür, dass sie derart einfach gestrickte Geschöpfe sind, können sie einen ganz schön verwirren.
Da ich davon ausgehen konnte, dass ich knallrot war, beschloss ich, das Thema zu wechseln.
»Claude erwähnte, dass er Anubis’ Geist um dich herum gespürt hat. Hast du viel mit Anubis geredet?«
Walt drehte an seinen Ringen. »Ich dachte, vielleicht kann er mir helfen. Mir einen kleinen Aufschub gewähren … vor dem Ende. Ich wollte lang genug auf der Welt sein, um euch beim Kampf gegen Apophis zu helfen. Dann hätte ich das Gefühl, dass mein Leben zu etwas nütze war. Und … es gab auch noch andere Gründe, weshalb ich mit ihm reden wollte. Über einige – einige Fähigkeiten, die ich entwickelt habe.«
»Was für Fähigkeiten?«
Nun war Walt an der Reihe, das Thema zu wechseln. Er betrachtete seine Hände, als hätten sie sich in gefährliche Waffen verwandelt. »Die Sache ist, ich wäre fast nicht nach Brooklyn gekommen. Als ich das Djed -Amulett erhielt – diese Visitenkarte, die ihr geschickt habt –, wollte mich meine Mutter nicht gehen lassen. Sie wusste, dass das Erlernen von Magie den Fluch beschleunigen würde. Ein Teil von mir hatte Angst zu gehen. Ein Teil von mir war wütend. Es kam mir wie ein grausamer Scherz vor. Ihr zwei botet an, mich zum Magier auszubilden, und ich wusste, dass ich höchstens noch ein oder zwei Jahre zu leben hatte.«
»Ein Jahr oder zwei?« Ich konnte kaum atmen. Ein Jahr war mir immer wie eine schrecklich lange Zeit vorgekommen. Ich hatte ewig darauf gewartet, dreizehn zu werden. Jedes Schuljahr kam mir wie eine Ewigkeit vor. Doch plötzlich schienen zwei Jahre viel zu kurz. Ich wäre erst fünfzehn und dürfte noch nicht mal Auto fahren. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlen würde, wenn ich wüsste, dass ich in zwei Jahren sterben würde – vielleicht auch früher, wenn ich das täte, wozu ich geboren war, nämlich zu zaubern. »Aber wieso bist du dann nach Brooklyn gekommen?«
»Ich musste«, antwortete Walt. »Ich hatte mein ganzes Leben mit der Todesbedrohung gelebt. Meine Mutter machte alles so ernst, so unüberwindbar . Doch als ich in Brooklyn ankam, hatte ich das Gefühl, ein Schicksal, ein Ziel zu haben. Selbst wenn es den Fluch noch qualvoller machte, war es das wert.«
»Aber es ist so verdammt unfair.«
Walt sah mich an und ich bemerkte, dass er lächelte. »Das ist mein Spruch. Das sage ich seit Jahren. Sadie, ich will hier sein. Die letzten beiden Monate habe ich mich zum ersten Mal richtig lebendig gefühlt. Und dich kennenzulernen …« Er räusperte sich. Er sah ziemlich gut aus, wenn er nervös war. »Ich fing an, mir über Kleinigkeiten Gedanken zu machen. Meine Haare. Meine Klamotten. Ob ich mir die Zähne geputzt hatte. Tja, ich sterbe und mach mir einen Kopf wegen meiner Zähne.«
»Du hast schöne Zähne.«
Er lachte. »Genau das meine ich. Ein kleiner Kommentar wie dieser und schon geht es mir besser. All diese Kleinigkeiten scheinen plötzlich wichtig zu sein. Ich habe nicht das Gefühl zu sterben. Ich bin glücklich.«
Ich dagegen war todunglücklich. Seit Monaten hatte ich davon geträumt, dass Walt mir seine Liebe gestehen würde, aber nicht so – nicht nach dem Motto : Da ich sowieso sterbe, kann ich ja auch ehrlich zu dir sein.
Und noch etwas anderes, was er gesagt hatte, ließ mir keine Ruhe. Es erinnerte mich an eine Lektion, die ich im Brooklyn House gelehrt hatte. Langsam nahm eine Idee in meinem Kopf Gestalt an.
»Kleinigkeiten erscheinen plötzlich wichtig«, wiederholte ich. Ich sah auf den kleinen Schutthaufen, den wir aus dem zugeschütteten Durchgang geräumt hatten. »Nein, so einfach kann es nicht sein.«
»Was?«, fragte Walt.
»Felsbrocken.«
»Ich habe dir gerade meine Seele offenbart und du redest von Felsbrocken?«
»Der Durchgang«, sagte ich. »Sympathetische Magie. Meinst du …?«
Er blinzelte. »Sadie Kane, du bist genial.«
»Ja, ich weiß .
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