Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
wahrscheinlich auch nicht an.«
Er sagte etwas auf Lateinisch, daraufhin stürzten sämtliche Mumien auf uns zu, schlurfend und stolpernd, stürzend und rollend. Einige zerfielen dabei in Stücke. Andere stürzten zu Boden und wurden von ihren Genossen niedergetrampelt. Doch die meisten kamen näher.
Wir wichen in den Gang zurück. Ich hielt meinen Zauberstab in der einen Hand. Mit der anderen umklammerte ich Walts Hand. Feuer herbeizurufen war nie meine Stärke gewesen, aber ich schaffte es, die Spitze meines Zauberstabs zu entzünden.
»Wir versuchen es mit deiner Methode«, sagte ich zu Walt. »Fackeln sie ab und rennen los.«
Ich wusste, dass es keine gute Idee war. In einem so engen Raum würde uns Feuer ebenso viel Schaden zufügen wie den Mumien. Wir würden an einer Rauchvergiftung sterben, ersticken oder schlicht verbrennen. Selbst wenn wir es schafften, uns in die Katakomben zurückzuziehen, würden wir uns bloß verirren oder in weitere Mumien rennen.
Walt entzündete seinen Zauberstab.
»Auf drei«, schlug ich vor. Mit Entsetzen starrte ich auf die Kindermumie, die auf uns zukam, das Porträt eines siebenjährigen Jungen lächelte mich an. »Eins, zwei –«
Ich zögerte. Die Mumien waren nur noch einen Meter entfernt, doch hinter mir war ein neues Geräusch zu hören – als würde Wasser laufen. Nein – ein Schlittern. Eine Horde lebendiger Lebewesen hielt auf uns zu, Tausende und Abertausende kleiner Krallen auf Stein, vielleicht Insekten oder …
»– und die nächste Zahl heißt …«, sagte Walt nervös. »Fackeln wir sie jetzt ab oder nicht?«
»Bleib dicht an der Wand!«, rief ich. Ich wusste nicht genau, was da in unsere Richtung kam, aber ich wollte nicht im Weg stehen. Ich presste Walt gegen den Stein und drückte mich flach neben ihn, wir standen mit dem Gesicht zur Wand, als eine Welle von kleinen Krallen und Pelz gegen uns klatschte und über unsere Rücken schwappte: Eine Armee von Nagetieren huschte in Fünferreihen über den Boden und flitzte aller Schwerkraft zum Trotz horizontal über die Wände.
Ratten. Tausende von Ratten.
Sie überrannten uns einfach, doch bis auf ein paar Kratzer fügten sie uns keinerlei Schaden zu.
Nicht so dramatisch, denkt ihr vielleicht. Aber habt ihr schon mal erlebt, dass eine Armee ekelhafter Ratten über euch hinweggetrappelt ist? Eine Erfahrung, auf die man verzichten kann.
Die Ratten strömten in Scharen in die Grabkammer. Sie stürzten sich auf die Mumien, kratzten und kauten und quietschten ihre kleinen Schlachtrufe. Die Mumien wanden sich unter dem Angriff, doch sie hatten nicht die geringste Chance. Die Kammer war ein Tornado aus Fell, Zähnen und zerfetztem Leinen. Es war wie in den alten Zeichentrickfilmen, wenn Termiten in Schwärmen über Holz herfallen und es in nichts auflösen.
»Nein!«, schrie Mad Claude. »Nein!«
Doch er war der Einzige, der schrie. Die Mumien zerfielen lautlos unter der Raserei der Ratten.
»Euch kriege ich!«, knurrte Claude, als sein Geist zu flackern begann. »Ich werde mich rächen!«
Mit einem letzten bösen Blick verblasste sein Bild, dann verschwand es.
Die Ratten teilten sich auf und huschten alle drei Gänge hinunter, nagten sich durch Mumien, bis der Raum schließlich leer und ruhig, der Boden mit Staub, Leinenfetzen und ein paar Knochen übersät war.
Walt sah ziemlich mitgenommen aus. Ich lehnte mich gegen ihn und umarmte ihn. Vielleicht habe ich vor Erleichterung geweint. Ich war so froh, ein warmes menschliches Geschöpf im Arm zu halten.
»Alles gut.« Er strich mir übers Haar, was sich unglaublich schön anfühlte. »Das – das war also die Geschichte mit den Ratten.«
»Was?«, brachte ich heraus.
»Sie … sie haben Memphis gerettet. Ein feindliches Heer belagerte die Stadt und die Einwohner beteten um Hilfe. Ihr Schutzgott sandte ihnen eine Horde Ratten. Die zernagten die Bogensehnen des Feindes, seine Sandalen und alles, was sie kauen konnten. Die Angreifer mussten zurückweichen.«
»Der Schutzgott – willst du damit sagen –?«
»Ich.« Aus dem Gang, der zum Ausgang führte, trat ein ägyptischer Bauer in den Raum. Er trug ein schmutziges Gewand, einen Turban und Sandalen und hielt ein Gewehr in der Hand. Er grinste uns an, und als er näher kam, erkannte ich, dass seine Augen völlig weiß waren. Seine Haut hatte eine leicht bläuliche Färbung, als wäre er kurz vorm Ersticken und würde die Erfahrung in vollen Zügen genießen.
»Tut mir leid, dass ich nicht
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