Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
klettern: Es ist schwierig und gefährlich. Die Cheops-Pyramide ist knapp einhundertfünfzig Meter hoch. Die steinernen Schrägseiten waren nie zum Hochklettern gedacht. Bei unserem Aufstieg stürzte ich zweimal beinahe herunter. Walt verdrehte sich den Knöchel. Ein paar Quader hatten sich gelöst und waren am Abbröckeln. Einige der »Treppenstufen« waren anderthalb Meter hoch und wir mussten uns gegenseitig hochstemmen. Nach zwanzig Minuten schweißtreibender Plackerei erreichten wir schließlich die Spitze. Der Smog von Kairo verwandelte alles, was im Osten lag, in einen großen verschwommenen Fleck, nach Westen bot sich jedoch ein toller Anblick, denn die Sonne, die am Horizont unterging, färbte die Wüste purpurrot.
Ich versuchte mir vorzustellen, was man wohl vor ungefähr fünftausend Jahren, als die Pyramide gerade erbaut worden war, von hier aus gesehen hatte. Hatte der Pharao Cheops hier oben auf seinem eigenen Grabmal gestanden und sein Reich bewundert? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich war er so klug gewesen, sich die Kletterei zu ersparen.
»Okay.« Sadie ließ ihre Tasche auf den nächst gelegenen Kalksteinquader fallen. »Bes, behalte alles im Auge. Walt, hilf mir mit dem Portal, ja?«
Zia berührte meinen Arm, was mich total nervös machte.
»Können wir mal reden?«, fragte sie.
Sie kletterte die Pyramide wieder ein Stück hinunter. Mein Herz raste, aber ich schaffte es, ihr hinterherzuklettern, ohne zu stolpern und mich zum Affen zu machen.
Zia starrte über die Wüste. Im Licht des Sonnenuntergangs sah ihr Gesicht gerötet aus. »Carter, versteh mich nicht falsch. Ich bin total dankbar, dass du mich aufgeweckt hast. Ich weiß, dass du das Herz am richtigen Fleck hast.«
Es fühlte sich überhaupt nicht an, als befände sich mein Herz am richtigen Fleck. Mir kam es eher so vor, als würde es in meiner Speiseröhre stecken. »Aber …?«, fragte ich.
Sie schlang die Arme um den Körper. »Ich brauche Zeit. Das ist alles sehr seltsam für mich. Vielleicht können wir … uns eines Tages näher sein, aber im Moment –«
»– brauchst du Zeit«, beendete ich mit rauer Stimme ihren Satz. »Vorausgesetzt, wir sterben heute Nacht nicht alle.«
Ihre Augen leuchteten golden. Ich überlegte, was die letzte Farbe war, die ein Insekt sah, wenn es in Harz stecken blieb – und ob das Insekt, bevor es für immer im Bernstein erstarrte, wohl dachte: Wow, das ist echt schön .
»Ich werde mir alle Mühe geben, dein Zuhause zu beschützen«, versprach sie. »Versprich mir, dass du – solltest du eine Wahl treffen müssen, auf dein Herz hörst, nicht auf den Willen der Götter.«
»Ich verspreche es«, sagte ich, obwohl ich meine Zweifel hatte. Ich hörte noch immer Horus in meinem Kopf, der mich drängte, die Waffen des Pharaos für mich zu beanspruchen. Ich wollte mehr sagen, ihr meine Gefühle erklären, doch das Einzige, was ich herausbekam, war: »Ähm … klar.«
Zia brachte ein trockenes Lächeln zu Stande. »Sadie hat Recht. Du bist … wie hat sie es genannt? Liebenswert tollpatschig.«
»Super. Vielen Dank.«
Über uns blitzte ein Licht auf und kurz darauf öffnete sich auf der Spitze der Pyramide ein Portal. Anders als die meisten Portale bestand es nicht aus wirbelndem Sand, sondern leuchtete violett – es war ein Gang, der geradewegs in die Duat führte.
Sadie drehte sich zu mir um. »Dieses Portal ist für uns. Kommst du?«
»Pass auf dich auf«, sagte Zia.
»Klar«, erwiderte ich. »Ich kann so was nicht so gut, aber – klar.«
Während ich mich zur Spitze hochschleppte, zog Sadie Walt an sich und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Er nickte finster. »Werde ich.«
Bevor ich fragen konnte, worum es ging, schaute Sadie zu Bes. »Bist du so weit?«
»Ich werde euch folgen«, versprach Bes, »sobald ich Walt und Zia durch ihr Portal geschickt habe. Wir treffen uns am Fluss der Nacht, im Vierten Haus.«
»Im vierten was?«, fragte ich.
»Du wirst schon sehen«, sagte er. »Jetzt geht!«
Ich warf Zia noch einen Blick zu und fragte mich, ob es wohl das letzte Mal war, dass ich sie sah. Dann sprangen Sadie und ich in den tosenden violetten Gang.
Die Duat ist ein seltsamer Ort.
[Sadie hat mich gerade als Captain Ach-wirklich! bezeichnet – aber, hey, es muss doch mal erwähnt werden.]
Die Strömungen der Geisterwelt beeinflussen die Gedanken, man wird hin und her gezerrt, damit das, was man sieht, zu dem passt, was man weiß. Deshalb sah die Duat, obwohl wir eine
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