Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
ich verstand nicht, warum. Es war, als hätte man mir ein Puzzleteil gegeben, allerdings für das falsche Puzzle.
Es war uns nicht gelungen, das richtige Stück zu retten – eine unersetzbare Schriftrolle, mit deren Hilfe wir Apophis vielleicht hätten besiegen können –, und es war uns nicht gelungen, einen ganzen Nomos uns wohlgesinnter Magier zu retten. Das Einzige, was wir von unserem Ausflug vorzuweisen hatten, war ein leerer Kasten mit Entenbildern. Ich hätte König Tuts Schattenkiste am liebsten quer durch das Zimmer geworfen.
»Verlorene Schatten«, murmelte ich. »Das klingt nach Peter Pan.«
Bastets Augen leuchteten wie Papierlampions. »Was glaubst du wohl, woher die Idee für die Geschichte von Peter Pans verlorenem Schatten stammt? Es gibt seit Jahrhunderten Volksmärchen über Schatten, Carter – überliefert seit der Zeit des alten Ägypten.«
»Und wie soll uns das weiterhelfen?«, wollte ich wissen. »Das Buch zur Niederwerfung des Apophis hätte uns weitergeholfen. Nun ist es zerstört!«
Ja, ich klang wütend. Ich war wütend.
Bei der Erinnerung an Dads Vorträge wäre ich gern wieder ein Kind gewesen und mit ihm um die Welt gereist. Wir hatten ein paar seltsame Dinge miteinander erlebt, aber ich hatte mich immer sicher und behütet gefühlt. Er hatte immer gewusst, was zu tun war. Alles, was ich nun noch aus dieser Zeit besaß, war mein Koffer, der oben auf meinem Schrank langsam verstaubte.
Es war nicht fair. Aber ich wusste auch, was mein Vater dazu gesagt hätte: Gerechtigkeit bedeutet, dass jeder bekommt, was er braucht. Und was du brauchst, bekommst du nur, wenn du es einforderst.
Super, Dad. Ich bin mit einem übermächtigen Feind konfrontiert und das, was ich brauche, um ihn zu besiegen, wurde gerade zerstört.
Sadie sah es mir anscheinend an. »Carter, uns wird schon etwas einfallen«, versprach sie. »Bastet, du wolltest vorhin etwas über Apophis und die Schatten sagen.«
»Nein, wollte ich nicht«, brummte Bastet.
»Warum macht dich das so nervös?«, fragte ich. »Haben Götter tatsächlich Schatten? Hat Apophis einen? Und wenn, wie funktionieren sie?«
Bastet kratzte mit den Fingernägeln einige Hieroglyphen in den Tisch. Ich war ziemlich sicher, dass die Botschaft GEFAHR lautete.
»Ehrlich, Kinder … das ist eine Frage für Thot. Ja, Götter haben Schatten. Natürlich. Aber … Aber darüber sollten wir nicht reden.«
Ich hatte Bastet selten so durcheinander gesehen. Aber warum? Diese Göttin hatte Apophis von Angesicht zu Angesicht, Klaue gegen Giftzahn, über Tausende von Jahren in einem magischen Gefängnis bekämpft. Warum fürchtete sie sich vor Schatten?
»Bastet«, sagte ich, »wenn uns keine bessere Lösung einfällt, müssen wir uns an Plan B halten.«
Die Göttin zuckte zusammen. Sadie starrte geknickt auf den Tisch. Plan B war etwas, das nur Sadie, Bastet, Walt und ich diskutiert hatten. Die anderen Initianden wussten nichts davon. Wir hatten es nicht einmal Onkel Amos erzählt. Plan B konnte einem wirklich Angst machen.
»Das … Das wäre schrecklich«, sagte Bastet. »Aber Carter, ich kann dazu nichts sagen. Und wenn du anfängst, Fragen über Schatten zu stellen, bringst du dich in eine sehr gefährliche –«
Es klopfte an der Bibliothekstür. Clio und Cheops tauchten oben an der Treppe auf.
»Tut mir leid, dass ich störe«, sagte Clio. »Carter, Cheops kam gerade aus deinem Zimmer herunter. Er scheint unbedingt mit dir sprechen zu wollen.«
»Agh!« , beharrte Cheops.
Bastet übersetzte aus dem Pavianischen. »Er sagt, oben in der Wahrsageschale möchte jemand mit dir sprechen. Und zwar privat.«
Als hätte ich nicht schon genug Stress. Es gab nur eine Person, die mir eine Vision in der Wahrsageschale schicken würde, und wenn sie mich so spät in der Nacht kontaktierte, konnte es nur eine schlechte Nachricht sein.
»Die Besprechung ist vertagt«, erklärte ich den anderen. »Wir sehen uns morgen früh.«
4.
Ich bitte die Kriegstaube um Rat
Ich war in ein Vogelbad verliebt.
Die meisten Typen sehen auf ihrem Telefon nach, ob sie eine SMS haben, oder machen sich einen Kopf, was Mädchen im Internet über sie erzählen. Ich dagegen saß ständig neben meiner Wahrsageschale.
Sie war nichts weiter als eine Bronzeuntertasse auf einem Steinsockel und stand auf dem Balkon vor meinem Schlafzimmer. Doch sobald ich in meinem Zimmer war, ertappte ich mich dabei, dass ich ständig in ihre Richtung spähte und den Drang unterdrückte,
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