Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
Stimme. »Für eine Massenmörderin klingt sie ganz schön überzeugend.«
Zia nickte. »Jacobi hat bereits den Großteil unserer Anhänger in Europa und Asien umgestimmt oder besiegt. Eine Vielzahl der Angriffe in letzter Zeit – in Paris, Tokio, Madrid – waren Jacobis Werk, allerdings schiebt sie die Schuld auf Apophis – oder das Brooklyn House.«
»Das ist lächerlich.«
»Das wissen wir beide«, sagte sie. »Aber die Magier haben Angst. Jacobi redet ihnen ein, dass Apophis nach der Vernichtung der Kanes in die Duat zurückkehren wird und wieder Normalität eintritt. Sie wollen das glauben. Sie erzählt ihnen, dass dir zu folgen einem Todesurteil gleichkommt. Nach der Zerstörung von Dallas –«
»Ist mir schon klar«, fuhr ich sie an.
Es war ungerecht von mir, auf Zia wütend zu werden, aber ich fühlte mich so was von hilflos. Jede unserer Unternehmungen erwies sich als Fehlschlag. Ich stellte mir vor, wie Apophis in der Unterwelt lachte. Vielleicht hatte er das Lebenshaus deshalb noch nicht mit voller Kraft angegriffen. Zu beobachten, wie wir uns gegenseitig zerfleischten, machte ihm zu viel Spaß.
»Warum hat Jacobi ihre Nachricht nicht an Amos geschickt?«, fragte ich. »Schließlich ist er der Oberste Vorlesepriester.«
Zia blickte zur Seite, als würde etwas sie ablenken. Ich konnte ihre Umgebung kaum erkennen, doch sie schien sich weder in ihrem Schlafsaal im Ersten Nomos noch im Gang der Zeitalter aufzuhalten. »Wie Jacobi schon sagte, sie betrachten Amos als einen Diener des Bösen. Sie reden nicht mit ihm.«
»Weil Seth von ihm Besitz ergriffen hat«, vermutete ich. »Das war doch nicht seine Schuld. Er wurde geheilt. Es geht ihm gut.«
Zia zuckte zusammen.
»Was?«, fragte ich. »Es geht ihm doch gut, oder?«
»Carter, es ist – es ist kompliziert. Also, das Hauptproblem ist Jacobi. Sie hat Menschikows alten Stützpunkt in Sankt Petersburg übernommen. Es ist beinahe so eine Festung wie der Erste Nomos. Wir wissen nicht, was sie vorhat und wie viele Magier hinter ihr stehen. Wir wissen nicht, wann sie zuschlägt und wo. Aber der Angriff wird bald stattfinden.«
Es ist höchste Zeit für Gerechtigkeit. Dies ist deine erste und letzte Warnung.
Irgendetwas sagte mir, dass Jacobi das Brooklyn House nicht erneut angreifen würde, nicht nach der Demütigung, die sie beim letzten Mal dort erfahren hatte. Doch wenn sie das Lebenshaus übernehmen und die Kanes vernichten wollte, wo würde sie als Nächstes zuschlagen?
Ich sah Zia eindringlich an und mir wurde klar, was sie dachte.
»Nein«, sagte ich. »Sie würden niemals den Ersten Nomos angreifen. Das wäre Selbstmord. Er hat fünftausend Jahre lang überlebt.«
»Carter … wir sind schwächer, als dir bewusst ist. Wir waren immer unterbesetzt. Mittlerweile sind viele unserer besten Magier verschwunden und möglicherweise haben sie sich der Gegenseite angeschlossen. Hier sind außer Amos und mir nur noch ein paar alte Männer und einige verängstigte Kinder.« Sie streckte verzweifelt die Arme aus. »Und die meiste Zeit kann ich hier nicht weg –«
»Moment mal«, sagte ich. »Wo bist du?«
Irgendwo im Hintergrund trällerte ein Mann: »Hal-löööchen!«
Zia seufzte. »Toll. Er ist aus seinem Nickerchen aufgewacht.«
Ein alter Mann steckte das Gesicht in die Wahrsageschale. Als er grinste, waren genau zwei Zähne zu sehen. Mit seinem faltigen Schädel ähnelte er einem greisenhaften Baby. »Zebras sind da!«
Als er den Mund öffnete und versuchte, von dem Öl zu trinken, verschwamm das ganze Bild.
»Mein Lord, nein!« Zia zog ihn zurück. »Ihr dürft das Zauberöl nicht trinken. Darüber haben wir doch geredet. Hier ist ein Keks.«
»Kekse!«, quietschte er. »Whiiieh!« Der alte Mann tanzte mit den Süßigkeiten in den Händen davon.
Zias seniler Großvater? Weit gefehlt. Das war Re, der Sonnengott, der erste göttliche Pharao Ägyptens und der Erzfeind von Apophis. Letzten Frühling hatten wir uns auf die Suche nach ihm gemacht und ihn aus seinem Dämmerschlaf auferweckt, weil wir hofften, er würde in all seinem Glanz wiedererstehen und die Chaosschlange für uns bekämpfen.
Stattdessen war Re altersschwach und geistig verwirrt aufgewacht. Er konnte prima Kekse mümmeln, sabbern und Quatsch singen. Gegen Apophis kämpfen? Eher nicht.
»Spielst du schon wieder Kindermädchen?«, fragte ich.
Zia zuckte die Achseln. »Hier ist es kurz nach Sonnenaufgang. Die meiste Zeit kümmern sich Isis und Horus auf der
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