Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
änderten sich die roten Lichtvorhänge der Modernen Zeit zu dunklem Violett. Vermutlich zeigte dies den Beginn eines neuen Zeitalters an, auch wenn keiner von uns genau wusste, was für eine Ära das sein würde. Wenn Apophis die Welt zerstörte, wäre es vermutlich das Superkurze Zeitalter.
Ich hatte erwartet, dass Amos am Fuße des Pharaonenthrons sitzen würde. Das war der traditionelle Platz des Obersten Vorlesepriesters und symbolisierte seine Rolle als wichtigster Berater des Pharaos. Andererseits brauchten Pharaonen heutzutage kaum Beratung, sie waren ja alle schon ein paar Tausend Jahre tot.
Das Podest war leer.
Ich war verblüfft. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, wo sich der Oberste Vorlesepriester herumtrieb, wenn er nicht zu sehen war. Hatte er ein Ankleidezimmer, vielleicht mit seinem Namen und einem kleinen Stern an der Tür?
»Dort.« Leonid zeigte auf etwas an der Wand hinter dem Thron.
Wieder hatte mein schlauer russischer Freund Recht. Eine schwache Lichtlinie schimmerte auf dem Boden – die Unterkante einer Tür.
»Ein unheimlicher geheimer Eingang«, sagte ich. »Gut gemacht, Leonid.«
Die Tür führte zu einer Art Einsatzzentrale. Amos und eine junge Frau in Tarnkleidung standen an einem langen Tisch mit einer vielfarbigen Intarsienweltkarte. Die Tischoberfläche war voller winziger Statuetten: bemalte Schiffe, Ungeheuer, Magier, Autos und Grabsteine mit Hieroglyphen.
Amos und das Tarnmädchen schoben so vertieft Statuetten über die Karte, dass sie uns zunächst nicht bemerkten.
Amos trug traditionelle Leinengewänder, in denen er mit seinem fassähnlichen Körper ein bisschen wie Bruder Tuck bei Robin Hood aussah, nur dass er dunklere Haut und eine coolere Frisur hatte. Seine Zöpfchen waren mit Goldperlen geschmückt. Seine runde Brille blitzte auf, während er die Karte studierte. Um seine Schultern lag der Leopardenumhang des Obersten Vorlesepriesters.
Was die junge Frau anbelangte … Oh, Götter Ägyptens. Das war Zia.
Ich hatte sie noch nie zuvor in modernen Kleidern gesehen. Sie trug Cargohosen mit Tarnmuster, feste Stiefel und ein olivgrünes Tanktop, das ihrer Kupferhaut schmeichelte. Ihr schwarzes Haar war länger, als ich es in Erinnerung hatte. Sie sah so viel erwachsener und toller aus als vor einem halben Jahr und ich war froh, dass Carter uns nicht begleitete. Er hätte echt Probleme gehabt, seine Kinnlade wieder vom Boden aufzuheben.
[Ja, hättest du, Carter. Sie sah ziemlich umwerfend aus, ein bisschen wie Lara Croft.]
Amos bewegte eine der Statuetten über die Karte. »Hier«, erklärte er.
»Gut«, sagte sie. »Aber dann ist Paris nicht geschützt.«
Ich räusperte mich. »Stören wir?«
Amos drehte sich um und grinste. »Sadie!«
Er zerdrückte mich fast, als er mich in den Arm nahm, dann rieb er mir liebevoll über den Kopf.
»Autsch«, sagte ich.
Er gluckste. »Tut mir leid. Es ist einfach so schön, dich zu sehen.« Er blickte zu Leonid. »Und das ist –«
Zia fluchte. Sie drängte sich zwischen Amos und Leonid. »Er ist einer der Russen. Was will der denn hier?«
»Beruhig dich«, bat ich. »Er ist ein Freund.«
Ich erzählte, wie Leonid bei der Schulparty aufgetaucht war. Leonid ergänzte, verfiel aber immer wieder ins Russische.
»Moment«, sagte Amos. »Das geht einfacher.«
Er berührte Leonids Stirn. »Med-wah.«
In der Luft über uns brannte rot die Hieroglyphe für Sprich .
»So«, sagte Amos. »Das sollte helfen.«
Leonids Augenbrauen wanderten nach oben. »Du sprichst Russisch?«
Amos lächelte. »Nein, für die nächsten paar Minuten sprechen wir alle Altägyptisch, doch es wird für jeden von uns wie unsere Muttersprache klingen.«
»Genial«, sagte ich. »Leonid, am besten nutzt du diese Zeit.«
Leonid nahm seine Armeemütze ab und fingerte an der Krempe herum. »Sarah Jacobi und ihr Leutnant Kwai … wollen euch angreifen.«
»Das wissen wir«, sagte Amos unbeeindruckt.
»Nein, du verstehst es nicht!« Leonids Stimme zitterte vor Angst. »Sie sind böse! Sie arbeiten mit Apophis zusammen!«
Vielleicht war es Zufall, doch als er diesen Namen aussprach, sprühten einige Statuetten auf der Weltkarte Funken und zerschmolzen. Mein Herz fühlte sich ziemlich ähnlich an.
»Warte«, sagte ich. »Leonid, woher weißt du das?«
Seine Ohren wurden rot. »Nach Menschikows Tod kamen Jacobi und Kwai in unseren Nomos. Wir gewährten ihnen Zuflucht. Kurz darauf übernahm Jacobi das Kommando, doch meine Kameraden hatten
Weitere Kostenlose Bücher