Die Kanonen von Dambanor II
PARALA nicht als Ruderschiff ausgelegt ist«, gab der Zweite Offizier zu bedenken.
Bedros drehte sich zu ihm um. Er hielt die transparenten Augenlider geschlossen. Die Augen eines Gheroor waren gut, aber sehr empfindlich. Er wollte sie nicht der aufkommenden Hitze aussetzen, die ihn bereits zu schmerzen begonnen hatte. »Ich weiß nur eins. Wir müssen hier möglichst schnell weg!«
Durch die Geschützluken schoben sich Ruder.
Nur langsam kam die PARALA voran, doch die Angst trieb die Mannschaft an.
Das Wasser begann zu kochen, und schon war zu befürchten, dass sich die Dichtungsmasse der Schiffswände auflöste.
Handelsherr Nebos kam aus seinem Gemach an Deck. Ungläubig starrte er in Richtung der Piraten. Das gleißende Licht aus der Tiefe hatte sie nun vollkommen erfasst. Ihre Skelette waren mit einer erschreckenden Deutlichkeit zu sehen.
»Was geschieht da?«, wandte sich Nebos an Kapitän Bedros, der vom Heck aus Befehle brüllte.
Die Mannschaft war im Rudern nicht geübt. Die Flucht der PARALA aus den strahlenden Gewässern verlief mehr oder minder chaotisch. Das Leuchten ging zurück und verschwand schließlich vollkommen.
»Sie sind der Seemann von uns beiden, Kapitän! Also erklären Sie mir auch, was dort geschehen ist.«
»Wenn ich das wüsste«, murmelte Kapitän Bedros. Er war sichtlich erschüttert.
Zur gleichen Zeit hatten sich im Waldreich, mehrere tausend Meilen vom Kap der Schädelfelsen entfernt, unweit der uralten Stadt Rrôngu, Hunderte Gheroor in der Zeit nach Mitternacht versammelt. Sie trugen die weißen Gewänder der Priester und die Amulette der Götter, auf denen sieben Monde abgebildet waren.
Auf einem erhöhten Podest stand ein Echsenmann in einer weißen Kutte. Weiß war die Farbe der Reinheit – und der Götter. Der Prediger schlug die Kapuze zurück. Dort, wo sich eigentlich seine Augen hätten befinden müssen, prangten nur zwei leere, schrecklich verwachsene Höhlen.
Unweit des Podestes befand sich ein verwittertes, uraltes Heiligtum, das den sieben Göttern des Himmels gewidmet war.
»Unser Volk ist einem Irrweg gefolgt«, sagte der blinde Prediger. »Der Einfluss der Fremden hat uns von unserer Kultur entfernt und viele die Traditionen vergessen lassen. Wir sind zu einer Kolonie herabgesunken. Wenn die Außenweltler uns brauchen, dann lassen sie uns für sich arbeiten und speisen uns mit lächerlichen Löhnen ab. Ein Almosen, mehr ist es nicht, auch wenn das vielen von euch zunächst gerecht erschien. Die Außenweltler machen die Gheroor zu Fremden auf ihrer eigenen Welt. Sie landen mit ihren Sternenschiffen auf den Monden, was an sich schon ein Frevel ist, denn wir wissen aus unseren Überlieferungen, dass göttliche Kräfte in ihnen wohnen. Die Heiden der Außenwelt versuchten, euch dies auszureden, und bei vielen hatten sie Erfolg. Aber langsam beginnt die Wahrheit wieder die Oberhand zu gewinnen. Immer mehr erkennen den Wert, den der Glaube an die sieben Götter hatte. Es gibt nur einen Grund, weshalb die Außenweltler uns eingeredet haben, dass die Götter nicht existieren!«
Der Blinde legte eine Pause ein. Er wandte ruckartig den Echsenkopf. Die gespaltene Zunge zuckte hervor und nahm den Geruch der Menge auf. Der Geruchssinn des blinden Predigers hatte sich verfeinert, seit er das Augenlicht verloren hatte. Manchmal glaubte er, die Reaktionen seines Publikums riechen zu können.
Stille breitete sich aus. Der blinde Prediger wartete, um die Anspannung noch etwas zu steigern.
»Die Götter haben schon einmal die Frevler gestraft, die aus dem kalten Reich der Dunkelheit kommen, von dem die Außenweltler uns weismachen wollen, es gäbe dort ungezählte Welten wie unsere. Dabei sind es nur Dämonenwelten, wo hässliche rosafarbene Säugetierabkömmlinge und andere Monster hausen. Wehe denen, die die Überlieferung nicht kennen! Es ist lange her, dass die Herren der Kristallschiffe hier eintrafen und auf den sieben Mondgöttern landeten. Aber die Kraft der Mondgötter war stärker. Sie wird auch die Außenweltler besiegen!«
Jubel brandete auf.
Der blinde Prediger schien die Beifallsäußerungen, die vor allem in einem Singsang aus tiefen, gurrenden Geräuschen bestanden, zu genießen. Er streckte die Arme zum Himmel und öffnete das Echsenmaul, sodass jeweils oben und unten zwei Reihen spitzer Zähne sichtbar wurden. Dann vollführte er eine Bewegung mit seiner linken Pranke, woraufhin augenblicklich wieder Ruhe einkehrte.
Das Echsenmaul
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