Die Kanonen von Navarone
Panayis?«
»Er hätte tot sein müssen, aber der ist zähe, zäher als die Astknoten in alten Johannisbrotbäumen. In der Nacht haben Freunde seine Fesseln durchgeschnitten und ihn mit in die Berge genommen, bis er wieder gesund war. Und dann erschien er – keiner weiß, wie – wieder auf Navarone. Ich glaube, er hat es in einem kleinen Ruderboot gemacht, von Insel zu Insel. Weshalb er zurückgekommen ist, hat er nie gesagt. Ich glaube, es reizt ihn mehr, Feinde auf seiner Heimatinsel zu töten als sonstwo. Ich weiß es nicht, Major. Nur eins weiß ich: daß diesem dunklen Menschen Essen und Schlaf, schönes Wetter, Frauen und Wein vollkommen gleichgültig sind.« Louki bekreuzigte sich wieder. »Mir gehorcht er, weil ich Hausmeister der Familie Vlachos bin, aber sogar ich habe Angst vor ihm. Töten, töten und nochmals töten, das ist jetzt sein ganzer Lebenszweck.« Louki machte eine Pause, schnupperte wie ein Hund, der eine verlorene Spur sucht, dann trat er sich den Schnee von den Stiefelsohlen und ging plötzlich in einem anderen Winkel bergan. Sein untrüglicher Richtungssinn hatte fast etwas Unheimliches.
»Wie weit ist es noch, Louki?«
»Zweihundert Meter, Herr Major, mehr nicht.« Louki pustete Schnee von seinem dicken Schnurrbart und sagte: »Mir tut's nicht leid, daß wir gleich da sind.«
»Mir auch nicht.« Mallory dachte an die Zugluft in ihrem nassen Felsenloch beinah mit Liebe. Je höher sie kamen, um so kälter war es geworden, und der Wind nahm noch zu, er wimmerte und stöhnte in immer höheren Tönen. Sie mußten sich jetzt fest gegen ihn stemmen, vornübergebeugt, um überhaupt noch weiterzukommen. Plötzlich blieben sie beide horchend stehen und lauschten, die Köpfe vor dem treibenden Schnee gesenkt, indem sie fragende Blicke wechselten. Wovon das Geräusch kam, war nicht zu erkennen.
»Haben Sie auch was gehört?« murmelte Mallory.
»Ich bin's nur.« Mallory fuhr herum, als der tiefe Baß hinter ihm ertönte und die massige Gestalt im weißen Mantel sich deutlicher vom Schnee abhob. »Ein Milchwagen auf Kopfpflaster ist gar nichts gegen dich und deinen Freund hier, aber eure Stimmen waren durch den Schnee gedämpft, deshalb war ich nicht ganz sicher.«
»Wie kommt es, daß du hier bist, Andrea?«
Mallory musterte ihn neugierig. »Ich suchte nach Brennholz. Bei Sonnenuntergang war ich hoch oben auf dem Kostos. Als es da einen Augenblick zu schneien aufhörte, hätte ich schwören können, daß ich hier in der Nähe in einer Schlucht eine alte Hütte sah, ein dunkles Viereck, das vom Schnee abstach. Deshalb verließ ich meinen Weg –«
»Und Sie haben recht«, unterbrach ihn Louki. »Es ist die Hütte vom alten Leri, dem Ziegenhirten, der nicht ganz richtig im Kopf war. Wir hatten ihn alle gewarnt, aber der richtete sich nach keinem Menschen, nur nach seinen Ziegen. Und so ist er in seiner Hütte umgekommen, bei einem Erdrutsch. Aber das ist schon lange her.«
»Und doch hat das jetzt sein Gutes …«, murmelte Andrea. »Beim alten Leri werden wir heute nacht warm sitzen.« Er bremste jäh den Schritt, da sich die Schlucht vor seinen Füßen auftat, dann sprang er schnell hinein, gewandt wie ein Bergschaf. Er pfiff zweimal, einen hohen Doppelton, lauschte gespannt ins Schneegestöber auf das antwortende Pfeifen und ging schnell in der Schlucht weiter.
Am Eingang zum Unterstand empfing sie Casey Brown, Revolver im Anschlag. Er schlug die Zeltbahn zurück und ließ sie eintreten.
Die unruhig flackernde, qualmende Talgkerze, die in dem eisigen Durchzug dick nach einer Seite tropfte, füllte die Höhle bis in den letzten Winkel mit hüpfenden Schatten. Sie war fast abgebrannt, der nasse Docht bog sich müde, bis er den Stein berührte, auf dem sie stand. Louki, der seine Schneekleidung beiseite geworfen hatte, zündete an der erlöschenden Flamme einen neuen Stummel an. In dem Moment, da beide Kerzen zusammen aufflackerten, sah Mallory zum erstenmal Louki deutlicher: eine kleine, kräftige Gestalt in einer dunkelblauen, an den Kanten schwarz bestickten und auf der Brust grellbunt verzierten Jacke, die mit der roten tsanta fest an den Leib gegürtet war. Darüber das dunkle Gesicht mit dem großartigen Schnurrbart, den er stolz wie ein Banner trug. Ein lachender Kavalier, auf den ersten Blick, wie ein d'Artagnan en miniature, prächtig behängt mit Waffen. Doch als Mallory in seine von Fältchen umgebenen, wässerigen Augen blickte, die so dunkel und traurig und wie ewig müde
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