Die Kanzlerin - Roman
willst kein Schlimmer sein, Controller, du willst nur reden. Also lass redn, weil, ich spüre, dass du mir noch was zu sagen hast.«
»Die Bildungsministerin wird nicht dabei sein.«
»Schade«, schrieb Silikon-Susi. »Das hätte doch besonders für sie ein kleines Lehrstück werden können.«
»Aber die Entwicklungshilfeministerin reist mit. Merrit Amelie Kranz.«
»Dann hast du die Infos von ihr? Und das beschäftigt dich jetzt? Weil du auf Rothaarige stehst, Controller?«
»Ich will, dass alle Dokumente, die mir Cookie & Co abgekupfert haben, vernichtet werden. Jetzt! Und dass es dafür auch einen klaren Beweis gibt, ansonsten werde ich morgen Alarm schlagen.«
Loderer wartete auf eine Antwort, aber Silikon-Susi war verstummt.
»Verdammt noch mal, ich hab den Job gemacht, ich hab die Infos geliefert, und jetzt will ich entlastet werden.«
Sie antwortete nicht, diese verdammte Hackerhure war verstummt, und in Loderers Kopf summte es immer weiter: Solang die Leute reden, machen sie nichts Schlimmeres. / Und ein wenig Heuchelei kannst du dir durchaus leisten, / bleib höflich, und sag nichts – das ärgert sie am meisten.
Ein dummer Text. Loderer ärgerte sich. Allgemeinplätze, Plattheiten, Dummheiten. Und solange nicht geredet wird, wird nicht geschossen. Musste er auch schon schreiben. Das Gegenteil war richtig: Wie viel Furchtbares passiert auf der Welt, weil schlimm geredet wird. Weil alles schlimmgeredet wird. Weil es schlimm ist, über alles zu reden, dachte Loderer. Privat redete er fast gar nichts mehr. Weil das, was es zu sagen gibt, nicht zu sagen ist. Weil es um das Unsagbare geht, in der Liebe, in der Wut, in der Enttäuschung und Trauer. Es geht immer um das Unsagbare, und doch reden sie, die Leute, und summte es, in seinem Kopf.
»Controller, bist du noch da? Du willst entlastet sein, das kann ich verstehn. Aber die Welt wird nicht untergehn, und auch derBerg, der Säntis, bleibt stehn. Also lass die Leute redn, und lass es geschehn. Dir wird nichts passieren, weil, ich mag es, wenn etwas stehen bleibt bei einem wie dir …«
Loderer antwortete nicht mehr. Er musste wissen, ob es nur in seinem Kopf summte. Er musste wissen, ob er verrückt war oder ob es bei allen summte: Hast du etwas getan, was sonst keiner tut? / Hast du hohe Schuhe oder gar einen Hut?
Die Ärzte-Fans spielten alle verrückt.
Kiwawa: »Das Lied ist so der Hamma – einfach geil, da gibt’s keine Worte, um das zu beschreiben – einfach genial …«
Bilbao: »Das Lied hört sich geil an, und ich würde es gegen mein Schatzi tauschen …«
Filius: »Die Ärzte ist so Hammer, am meisten Farin.«
Spatzi: »Könnte es hundertmal hören. Und dachte schon beim ersten Mal, dass ich es hundertmal gehört habe. So eine Melodie ist das …«
Lea: »Boahhh, das Lied ist so geilo, echt … die reine Realität.«
Jumbo: »Und das Beste ist, dass der Text nur die Wahrheit offenbart …«
Ergo: »Jedes Ärzte-Lied handelt von der Gesellschaft, also so ziemlich jedes. Und daran sieht man auch echt oft, wie am Arsch unsere Gesellschaft ist.«
Jota: »Wen kümmert’s? Das Lied ist einfach giraffenaffencool, boah: Ich bin so stolz auf euch. Und das als medizinischer Laie.«
D er Anruf kam völlig überraschend. Johannes Kranich stand vor dem Spiegel und war seinem Blick minutenlang nicht ausgewichen, als sein Handy klingelte.
»Herr Kranich, ich hoffe, ich störe nicht, aber selbst wenn, möchte ich Sie fragen, ob Sie ein paar Schritte mitgehen. Ich langweile mich und möchte ein bisschen spazieren – und dabei etwasplaudern. Und da habe ich mir gedacht: Warum nicht mit Ihnen? Begleiten Sie mich ein Stück, in der Hasenheide?«
»Sie wollen im Drogenpark spazieren gehen, Frau Kanzlerin?«
»Wir reden von einem Volkspark, Herr Kranich. Und sollten Sie darüber hinausgehende Informationen haben, dann werde ich mich gern aufklären lassen. Also bitte, der Chauffeur wartet, die Sonne scheint, und in ein paar Tagen werde ich ja sehen, wie sie in Ihrer Schweiz aufgeht – ich nehme an, mit ebenso erhellenden wie neutralisierenden Strahlen. Kranich, nicht nur der Chauffeur wartet.«
Sie hatte aufgelegt, und Kranich überlegte, ob er sich anders kleiden sollte. Schwarze Jeans, weisses Hemd. Noch einmal einen Blick in den Spiegel, der Griff an sein Jackett, das Portemonnaie war da, mit nichts drin.
Sie sass allein im Wagen, und der Chauffeur öffnete ihm die Tür. »Wir werden unauffällig überwacht, Herr Kranich, freut
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