Die Kanzlerin - Roman
seine Sache gut machte, weil er von Politik mehr erwartete als kurzfristige Antworten, weil er seine Positionen schärfen wollte, weil er etwas wissen wollte. Und weil er auf eine fast schon naive Weise davon überzeugt war, dass Politik dazu einen wichtigen Beitrag leisten konnte.
Eisele ergriff das Wort: »Bossdorf. Bündeln wir die Erkenntnisse. Gerichtsmedizinerin Schöni kam zu folgender Erkenntnis: Herr Bossdorf ist erstickt, weil eine Folie ihm die Luft nahm. Dass es sich dabei um einen Sexunfall handelt, ist wahrscheinlich. Dass er vorsätzlich erstickt wurde, ist forensisch nicht nachweisbar. Obwohl es schon auffällig sei, dass auf der Folie keine Abhaftungen gefunden wurden.«
»Und keine Fingerabdrücke«, sagte Flimm. »Aber vielleicht gehören Handschuhe ja zu solchen Praktiken. Was allerdings gegen einen Unglücksfall spricht, sind die Erkenntnisse, die Herr Brack offenbar hat.«
»Die Gruppe namens Cookie & Co bereitet bekanntlich einen Terroranschlag vor für den Tag der Bundestagswahl. Weil wir noch mehr Erkenntnisse gewinnen möchten, wird der Zugriff aber erst in etwa 14 Tagen erfolgen. Es eilt nicht. Die Gruppe verdächtigt einen gewissen Mozart, ein Verräter zu sein. Und die Kanzlerin hat bekanntlich immer wieder SMS von einem gewissen Mozart erhalten. Wir vermuten, dass Bossdorf Mozart war. Und also von der Organisation Cookie & Co eliminiert wurde.«
»All dies wird derzeit überprüft«, sagte Flimm, »und persönlich meine ich, dass es äusserst unklug ist, wenn die Kanzlerin in dieser Situation eine Säntisreise plant.«
»Ich habe ihr davon abgeraten«, sagte Eisele, »und sogar Putin hat sie gewarnt.«
»Aber der russische Geheimdienst rückt nicht mit der Sprache raus«, sagte Flimm. »Wir wissen nur, dass die Russen Cookie & Co ebenfalls beobachten und daraus wohl ähnliche Schlüsse gezogen haben wie wir.«
Brack vergass, dass er extrem verärgert war, und kurz bevor er implodierte, gab er Vollgas. »Was für Amateure«, schnaubte er. »Und keine Anhaltspunkte für einen islamistischen Hintergrund. RAF-Geschwafel, Anarchoromantik. Auch wenn ich damit an der Ernsthaftigkeit des Vorhabens nicht zweifeln will: Mein Bauch sagt mir einfach, dass etwas nicht stimmt. Etwas stimmt da nicht. Delegierte eines behaupteten Volkszorns, der angeblich nur darauf wartet, sich endlich entladen zu können, Quatsch. Glaube ich nicht.«
»Der Motivfrage«, sagte Eisele, »werden wir uns ja hoffentlich etwas nähern können, wenn der Zugriff erfolgt ist. Was aber offenbar nicht ganz so einfach ist, wie mir scheint, weil die Gruppe vielleicht professioneller agiert als eben von Herrn Brack geschildert. Oder kennen wir Namen und Aufenthaltsort einzelner Cookie-Mitglieder?«
»Nein«, sagte Flimm. »Und es besteht die Möglichkeit, dasssie uns mit Mozart nur ködern und von etwas ablenken wollten. Warum sonst sollten sie uns Bossdorfs Leiche serviert haben?«
»Ein Appetizer wofür?«, fragte Eisele. »Was sagt Ihr Bauchgefühl, Herr Brack?«
»Dass sich etwas zusammenbraut. Dass sich etwas über lange Zeit gestaut hat und es zu einer furchtbaren Entladung kommen könnte. Die Frage ist nur: wann und wo? Termin Bundestagswahl, im ARD-Hauptstadtstudio, völlig hirnrissig. Aber die Überprüfungen laufen.«
»Und wie und wo«, fragte Eisele, »soll der Zugriff erfolgen, wenn wir nicht wissen, wen wir ergreifen wollen?«
»Hardcore«, sagte Flimm. »Den haben wir schon recht gut profiliert. Und eine bestimmte Person im näheren Umkreis der Kanzlerin wird ebenfalls observiert. Wir sind uns da ziemlich sicher.«
»Was auffällig, sogar penetrant auffällig ist«, sagte Brack, »ist die Tatsache, dass diese sogenannte Gruppe Cookie & Co immer wieder Gespräche führt, aus denen hervorgeht, dass sie über das, was die Ermittler tun, sehr gut informiert sind. Der mit dieser Geschichte befasste Personenkreis ist darum sehr klein: zwei BND-Mitarbeiter, drei vom BKA, die hier Anwesenden und natürlich Kanzleramtschef Haxer und die Kanzlerin. Aber nicht das Parlamentarische Kontrollgremium.«
Eisele wusste, das würde Ärger geben, und zwar unabhängig davon, ob die geplante Operation gegen Cookie & Co erfolgreich war oder nicht. Aber er war einverstanden mit der Geheimnistuerei. Schliesslich wussten sie fast gar nichts. »Und die Generalbundesanwältin?«, fragte er.
»Wurde nur ganz allgemein informiert«, sagte Flimm. »Keine Einzelheiten. Sobald es konkreter wird, will sie in Kenntnis gesetzt
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