Die Kanzlerin - Roman
Nachttrank sie mehrere Dosen Schnaps. »Jack Daniel und seine Bande«, sagte sie, »meine Freunde«, und trank.
Sie wusste nicht, ob sie bei ihm wirklich in Sicherheit war, und er versuchte sie zu beruhigen. Wochenlang war sie betrunken, besinnungslos vor Angst, und schlief den ganzen Tag und schlief, wenn er nach Hause kam, und trank, und er streichelte ihren kleinen Kopf.
Und er streichelte sie, bis sie sich ausgeschlafen hatte, und sie heirateten. Sie war so stolz auf ihn, darauf, einen Mann zu haben. Und er spürte, dass eine stolze Frau stolz auf ihn war, und war stolz.
»Jetzt bin ich dein Schatten«, sagte sie, »solange es dich gibt.«
»Und ich bin dein Mann«, sagte er, »solange es dich gibt.«
Manchmal nannten sie sich beim Vornamen. Aber meistens sagte er »Frau« zu ihr, und sie nannte ihn »Mann«. Das »mein« war nicht wichtig. Wichtig war nur, dass sie Frau und Mann waren.
M ontag, 11. August
Rote Windjacke mit Kapuze, schwarze Hose, zwei Pullover, unterschiedlich dick, blaues Abendkleid – und die Sonnenbrille nicht vergessen. Sie war ein praktischer Mensch und machte keine Umstände, wenn es auf eine kleine Reise ging. Reisekoffer, Rucksack, Sonnencreme.
Als es zwitscherte, schreckte die Kanzlerin auf. »Ich höre«, sagte sie und ärgerte sich. »Nein«, sagte sie und ärgerte sich noch etwas mehr. »Keine Ahnung«, sagte sie, und nun war es genug. »Nun hören Sie mir mal gut zu, Herr Haxer. Wie Ihnen bestimmt nicht entgangen ist, versuche ich, ein paar Tage abzuschalten und meine Ruhe zu haben, kurz gesagt. Sie aber gehen offenbar davon aus, dass ich mit meinem Generalsekretär auf dem Sofa sitze undLimonade trinke – ausgerechnet mit ihm, der sich bei unserer letzten Zusammenkunft sehr seltsam benommen und nun offenbar das Weite gesucht hat. Wo auch immer Adi Fröhlich sein mag, bei mir ist er nicht, und er hat sich bei mir auch nicht abgemeldet, und wenn Sie sich Sorgen machen, dann geben Sie eine Vermisstenanzeige auf: 1,76, schlank und rank, heiteres Gemüt, einfach zu halten, nicht bissig und im Übrigen sehr genügsam.«
»Keiner in der Partei hat Fröhlich seit jenem Abend gesehen. Zu Hause war er auch nicht – seine Frau hat sich mehrfach in der Parteizentrale erkundigt und auch alle Freunde angerufen.«
»Wie gesagt, Herr Haxer, abgesehen davon, dass halt jeder Mensch so seine kleinen Geheimnisse hat, würde ich es sehr wohl verstehen, wenn Adi Fröhlich nach seinem unpassenden Verhalten einmal innehalten wollte, wobei ich bei ihm nicht von einer Denkpause sprechen möchte, sondern vielleicht eher von einer Art Abkehr. Er ist ja sonst generell allen und allem sehr zugewandt. Vielleicht ist er auf die Kanaren geflogen und löst dort Kreuzworträtsel. Und ich kann nur hoffen, dass er sich dabei ein bisschen schämt. Und sollte er Angst davor haben, dass ich ihn nach der Sommerpause entlasse, dann wäre das eine durchaus berechtigte Angst.«
»Wie hat er sich Ihnen gegenüber denn verhalten?«
»Unangemessen«, sagte die Kanzlerin, »und vor allem: feige. Eines Generalsekretärs unwürdig feige.«
»Worum ging es denn?«, fragte Haxer.
»Gute Frage, wobei es Fragen gibt, die man sich sozusagen selbst zu stellen hat, und möglicherweise ist das eine solche Frage, nicht wahr, Herr Haxer?«
»Ich habe von dem Treffen nur gehört, weiss nur, dass es stattgefunden hat, ohne über Einzelheiten informiert zu sein …«
»Von wem?«
»Ich glaube, Kordian von Aretin hat eine Andeutung gemacht.«
»Herr Haxer, wenn jemand vermisst wird, dann gibt man eine Vermisstenanzeige auf. Sofern man diese Person vermisst. Ich vermisse Adi Fröhlich nicht. Sollte seine Frau das ebenfalls nicht tun, wäre das für mich zumindest nachvollziehbar. Und sollte mein Kanzleramtschef seinen überaus grossen Handlungsspielraum ausschöpfen wollen, dann meldet er jetzt den Verlust unseres Parteifreundes bei der Kripo, und jetzt heisst jetzt. Bitte?«
»Und wenn er auftaucht? Wollen Sie informiert werden?«
»Nein. Taucht er auf, dann ist er wieder da, und das ist dann sein Problem. Und ich packe jetzt meine Siebensachen. Heute ist Montag. Ab Mittwoch bin ich in der Schweiz. Bis Freitag. Und das heisst: Die Zeit ist einfach zu knapp, um Adi Fröhlich in meiner Abwesenheit für tot zu erklären. Bitte? Danke, Herr Haxer, ich werde den Säntis geniessen und vorher sogar einen Rheinfall.«
C lara langweilte sich. Anarchisterix, Jodler und Hardcore werkelten Tag und Nacht in der Küche an ihrem
Weitere Kostenlose Bücher