Die Kanzlerin - Roman
des Lachgases das Kohlenmonoxid entweicht.« Er wühlte in seinen Jackentaschen, legte Blätter mit Formeln auf den Tisch und einen zerknitterten Notizzettel. »Letztlich geht es darum, dass ich alles richtig berechne und Jodler zusammen mit Hardcore das technisch ebenso korrekt umsetzt. Aber: Ich muss das hochreine Kohlenmonoxid so mit Helium versetzen, dass der Feuerlöscher in der Küche nicht in die Luft fliegt, wenn wir das Gemisch einfüllen. Der Druckausgleich muss stimmen. Vielleicht hätten wir doch CO 2 nehmen sollen. Wie auch immer. Es ist, theoretisch, berechenbar, und zwar so, dass ich die letale Dosis exakt bestimmen kann. Wobei die Höhe zu berücksichtigen ist, in der das Gas ausströmen soll. Und den Feuerlöscher hängen wir an die Decke, damit die sinkenden Gase ihre volle Wirkung entfalten können.«
»Wie?«, fragte Tricolor.
»Mit Neodymmagneten«, sagte Anarchisterix. »Stärkste Magnetfelder bei kleinstem Volumen. Haltekraft: über 1000 Newton, was einer Gewichtskraft von etwa 100 Kilogramm entspricht.«
»Die Kanzlerin möchte den Sonnenaufgang sehen, und Tricolor meint, das sei ihr zu gönnen«, sagte Clara.
»Eine Unbekannte ist die Fahrgeschwindigkeit der Seilbahn«, sagte Anarchisterix, »weil wir nur wissen, dass die an sich acht Minuten lange Fahrzeit ausgedehnt wird. Die Seilbahn fährt verlangsamt. Aber wir wissen nicht, ob sie allenfalls mitten auf der Strecke ein-, zweimal stehenbleibt.«
»Bleibt sie nicht«, sagte Tricolor. »Die Seilbahn fährt extrem langsam bei solchen Fahrten, aber sie bleibt nicht stehen.«
»Aber es gibt eine Zwischenstation«, sagte Anarchisterix.
»Gibt es nicht«, sagte Jodler. »Aber es gibt den sogenannten Mast 2. Halt auf Verlangen. Wer aussteigen will, kann das tun,sich umsehen, frische Luft schnappen, spazieren. Die Schwägalp liegt auf etwa 1300 Meter Höhe, Mast 2 bei 2100 Metern …«
»… und weil der Gipfel 2500 Meter hoch ist, heisst das«, sagte Anarchisterix, »dass wir den Höhenmesser erst nach rund zwei Dritteln der Fahrt aktivieren können.«
»Kurz vor dem Gipfel«, sagte Clara.
»Und die Schweizer Bundesräte, die ihre Kollegen oben erwarten, stehen dort als Totenwache.«
»Programmierung bei 2150 Metern«, sagte Anarchisterix, und Jodler nickte: »Fahrzeit ab Mast 2 bis Säntisgipfel vermutlich neun bis zehn Minuten.«
»Lachgas strömt aus, effektive Wirkung nach etwa zwei Minuten. Geben wir der Kanzlerin drei letzte euphorische Minuten. Dann strömt das Kohlenmonoxid aus, in etwa 2300 Metern Höhe. Nach weiteren zwei bis drei Minuten ist alles vorbei. Kurz vor dem Gipfel.«
»Sicherheitspuffer: ein bis zwei Minuten. Klingt zwar spitz auf spitz«, sagte Jodler, »aber ich habe genau recherchiert. Wenn wir die fröhlichen letzten Minuten der Runde auf zwei verknappen, wären wir im absolut sicheren Bereich.«
Anarchisterix streifte sich die Lederhandschuhe über, nahm sich ein paar Trauben und sagte: »Viel Zeit haben wir nicht. Es wird eng, Jodler. Und Hardcore muss noch einmal einkaufen.«
»Ich geh mit«, sagte Tricolor.
W enn der Chef des Bundeskriminalamtes schlecht gelaunt war, dann polterte er und brauste auf. Wenn er ganz schlecht gelaunt war, schikanierte er seine Sekretärin. Aber wenn er, wie heute, extrem schlecht gelaunt war, dann beherrschte er sich. Dann klang seine Stimme eine Nuance höher, aber wie geölt. Dann wirkte Jens Brack wie ein Mann mit Manieren, und da er die Erfahrunggemacht hatte, dass es Situationen gab, in denen er damit Erfolg hatte, fiel es ihm leicht, bei Gelegenheit extrem schlecht gelaunt zu sein. Und heute war so eine Gelegenheit. Innenminister Eisele hatte kurzfristig um ein Treffen gebeten, angeblich wichtig, und weil er als BKA-Chef eine wichtige Persönlichkeit war, hatte er die Einladung selbstverständlich angenommen.
Das Treffen behagte nicht nur Brack nicht, sondern auch Dexter Flimm nicht, der schon da war. Aber Eisele liebte Gespräche, bei denen er mit ein paar hellen Geistern laut nachdenken konnte über Dinge, die noch nicht ganz geformt waren, ihn also intellektuell herausforderten und ablenkten von dem, was ihn bedrückte. Eisele hustete. Brack mochte ihn. Beide spielten sie den harten Hund, dachte Brack, beide aber waren sie im Grunde nur Hunde, die gerne was in der Nase spürten, Gerüchen nachgingen, Spurensuche betrieben, auch wenn Eisele ein Politiker war und also etwas, was er, Brack, für ziemlich überflüssig hielt. Doch Eisele war einer, der
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