Die Kanzlerin - Roman
abgesprochen und waren sich darin einig, dass man vor allem Zeit gewinnen musste. Die Medien waren gefrässig, also musste man sie füttern. Die Referenten waren bestimmt, Fragen würden nicht zugelassen.
Die Schweiz war vertreten durch Bundespräsident Diller, Verteidigungsminister Kari Fässler, Bundesanwalt Simon Gollwitz, Inlandsgeheimdienstchef und Leiter des Schweizer Krisenstabes, Lukas Falter, und Dominik Klug, Direktor der Schweizer Seilbahnen. Die Deutschen hatten Dexter Flimm nach Bern geschickt, den Staatssekretär von Innenminister Benedikt Eisele, und Jens Brack, den Chef des Bundeskriminalamtes. Wortbeiträge von deutscher Seite waren nicht vorgesehen.
Kurz bevor Kari Fässler die Pressekonferenz eröffnen wollte,bemerkte er, dass hinter dem Namensschildchen von Jens Brack Simon Gollwitz sass, und tauschte die Schildchen aus.
Es war stickig schwül im Kursaal, der im Übrigen eine der Situation eher unangemessene Behaglichkeit ausstrahlte.
»Meine Damen und Herren, ich begrüsse Sie aus traurigem Anlass zu dieser Medienorientierung. Die Konferenz wird in mehrere Sprachen synchron übersetzt: Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Russisch. Die Kopfhörer haben Sie beim Einlass erhalten.«
Fässler machte eine erste Pause und schilderte dann – wie von Diller empfohlen – die Hintergründe des inoffiziellen Staatsbesuchs der deutschen Minister so ausführlich, dass gute zwanzig Minuten vergangen waren, bis er Dominik Klug das Wort erteilte, der ebenso minutiös Details zur Säntisbahn referierte, längere Ausführungen zu den Sicherheitsvorkehrungen von Schweizer Seilbahnen im Allgemeinen und der Säntisbahn im Besonderen machte und dann eine imaginäre Gondel von der Schwägalp auf den Säntis schweben liess, damit sich die – mittlerweile unruhig gewordenen – Medienleute im Saal ein Bild von den örtlichen Verhältnissen machen konnten.
Als Bundesanwalt Simon Gollwitz das Wort ergriff, wurde es schlagartig ruhig im Berner Kursaal. Gollwitz sprach kurz, präzis und trotzdem so allgemein, wie das im Vorfeld der Konferenz verabredet worden war. Er bestätigte die Zahl von 25 Todesopfern und die von der Zürcher Rechtsmedizin festgestellte mutmassliche Todesursache: Kohlenmonoxid. Er unterstrich den glücklichen Umstand, dass die deutsche Kanzlerin und zwei ihrer Mitarbeiter das Attentat überlebt hatten, ohne diese Tatsache aber näher zu erhellen. Schliesslich sprach er fast eine halbe Stunde lang über die deutsch-schweizerische Zusammenarbeit unter besonderer Berücksichtigung der beiden Krisenstäbe in Berlin und Bern.
Als er das Wort Lukas Falter gab, war es im Saal nochdrückender geworden: Die abgestandene Luft war bleischwer, und einzelne Journalisten hatten den Saal verlassen, um sich Getränke zu holen. Auch Falter nahm einen Schluck Wasser, bevor er sagte: »Wir befinden uns erst am Anfang unserer Ermittlungen. Und Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen zu diesem frühen Zeitpunkt keine konkreten Informationen liefern kann, weder über die mögliche Täterschaft noch über deren Motive. Fest steht aufgrund des Tatablaufs nur, dass mehrere Personen an diesem schrecklichen Verbrechen beteiligt waren, wir also einen Einzeltäter ausschliessen können. Die Dimension des Attentats erfordert es im Übrigen, dass die beiden Krisenstäbe in Bern und Berlin auch intensiv mit anderen Staaten zusammenarbeiten, um diesen Anschlag aufzuklären. Die Schweiz hat mit Deutschland vereinbart, dass die laufenden Ermittlungen vorläufig strikt geheim gehalten werden und vorliegende Erkenntnisse nur in gegenseitigem Einvernehmen publik gemacht werden. Ich bin dazu ermächtigt, Ihnen zumindest ein konkretes Ermittlungsergebnis mitzuteilen: Die Schweizer Bundeskriminalpolizei hat heute Nachmittag eine vierzigjährige Schweizerin verhaftet, die sich als Zeugin bei der Kripo St. Gallen gemeldet hat, um eine Aussage zum Geschehen auf der Säntisbahn zu machen. Die Befragung der Zeugin hat dann aber ergeben, dass sie unter dem dringenden Tatverdacht steht, selbst am Attentat mitgewirkt zu haben.«
Verteidigungsminister Fässler hätte die Journalistenhände nicht zählen können, die an dieser Stelle in die Höhe schnellten. Aber Lukas Falter ignorierte das souverän und schloss seine Ausführungen mit dem Hinweis, dass der Schweizer Krisenstab täglich einmal ein Kommuniqué publizieren werde und es sinnlos sei, sich zusätzliche Informationen beschaffen zu wollen. »Wir
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