Die Kanzlerin - Roman
werden Ihnen sagen, was wir ermittelt haben, wir werden Ihnen unsere Informationen geben, aber das zu einem Zeitpunkt, den wir für richtig erachten.«
Fässler machte sich keine Illusionen. Irgendjemand plauderte immer. Und irgendeine Zeitung würde morgen den Namen der Verhafteten publizieren, und dann würde eine Meute von Journalisten das St. Galler Kantonsspital belagern – er musste also entsprechende Massnahmen treffen. Klar war auch, dass sich die Journalisten vor allem auf den Direktor der Schweizer Seilbahnen stürzen würden, weil die Katastrophe schliesslich in seiner Gondel passiert war. Falter hatte es zwar geschickt vermieden, Genaueres zum Feuerlöscher zu sagen. Er hatte lediglich erwähnt, dass dieser präpariert worden war, und zwar so, dass sich zuerst ein Ventil öffnete, das Lachgas ausströmen liess, und in der Folge ein zweites, aus dem Kohlenmonoxid in einer tödlichen Konzentration austrat. Aber natürlich würden die Journalisten bald herausfinden, dass dieser Feuerlöscher – völlig unüblich – an der Decke montiert war, eine Tatsache, mit der sich die Ermittler intensiv beschäftigten. Die Vermutung, dass der Feuerlöscher ausgetauscht worden war, lag nahe. Von wem und wann, das war die Frage. Fässler brauchte jetzt dringend frische Luft und war etwas verärgert, dass sich Jens Brack nicht an die Absprache hielt und ebenfalls das Wort ergriff: »Werte Journalistinnen und Journalisten, als Chef des deutschen Bundeskriminalamtes möchte ich mich an dieser Stelle lediglich für die Arbeit der Schweizer Behörden bedanken, die unmittelbar nach dem Terroranschlag sofort reagiert und die richtigen Massnahmen in die Wege geleitet haben. Ich bin sicher, dass unsere beiden Länder dieses Attentat aufklären werden und die Schuldigen bestraft werden. Ich möchte hinzufügen: Wir werden die Täter rasch ermitteln und zur Rechenschaft ziehen, das verspreche ich Ihnen.«
Kari Fässler gab Diller ein Zeichen, und der Bundespräsident hielt ein kurzes Schlusswort, in dem er seinem Entsetzen Ausdruck verlieh, Deutschland seiner Anteilnahme versicherte, den Hinterbliebenen das tiefe Mitgefühl des ganzen Schweizer Volkesund seiner Regierung aussprach. Diller konnte das gut: wenige Sätze, in der richtigen Tonlage und vor allem so abschliessend gesagt, dass nur noch einige wenige Hände nach oben schossen, als Kari Fässler noch einmal das Mikrofon nahm und sagte: »Meine Damen und Herren, mehr gibt es im Moment nicht zu sagen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«
E s war totenstill im Bundeskanzleramt, bis der Hubschrauber auf dem Vorplatz landete und die Kanzlerin von einem ganzen Pulk von Personenschützern ins Gebäude geleitet wurde. Der Krisenstab tagte im Innenministerium, und niemand rechnete mit ihrem Erscheinen dort.
»Danke«, sagte die Kanzlerin, als ihr die neue Büroleiterin einen Kaffee brachte und fragte: »Mit Milch?«
»Ich frage Sie ja auch nicht, wie Sie heissen«, sagte die Kanzlerin und war erstaunt, dass der Trick funktionierte. »Sophie Eigenherr«, sagte die Bürochefin, und die Kanzlerin sagte: »Wenn das so ist, dann verzichte ich heute lieber auf die Milch. Aber vielleicht könnten Sie mir den Kaffee etwas versüssen?«
Kranich stand im Flur, als Sophie Eigenherr völlig aufgebracht an ihm vorbeirauschte.
»Was ist passiert?«, fragte er.
»Die Frau ist eiskalt«, sagte die Bürochefin, »eiskalt.«
»Ich kenne sie anders, Sophie«, sagte Kranich, »und ich heisse Johannes. Was ist passiert?«
»Sie macht mich fertig. Sie kennt meinen Namen nicht. Sie weigert sich, ihren Kaffee mit Milch zu trinken, obwohl sie das sonst immer macht. Und noch nie hat sie Zucker verlangt.«
»Sophie, wir alle stehen unter einem enormen Druck. Die Kanzlerin will Sie nicht schlechtmachen. Aber es geht ihr schlecht.«
»Mir auch«, sagte Sophie.
»Dann bringen Sie mir doch bitte auch einen Kaffee«, sagte Kranich.
Die Kanzlerin hatte sich für eine Weile zurückgezogen, bevor sie die Herren zu sich bestellte: Verfassungsschutzchef Kai Auerbach sowie Dexter Flimm, Eiseles Staatssekretär, und BKA-Chef Jens Brack, die sie von Bern nach Berlin zitiert hatte.
»Sie erinnern sich, meine Herren?«
Die Herren schwiegen.
»Betretenes Schweigen scheint mir auch durchaus angebracht, Herren, wobei ich nicht vorhabe, in dieser Stunde abzurechnen. Aber einen kleinen Rückblick sollten wir uns schon gönnen.«
Jens Brack hatte sich unaufgefordert in den bequemsten Stuhl im Raum
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