Die Kanzlerin - Roman
den Weg geben möchte, ist dies: Die Schweiz hat mit Terroristen bislang zwar nur wenig Erfahrung. Aber glauben Sie mir: Sie werden auspacken. Wenn Sie glauben, dass Sie uns mit Ihrer naiven Tour beeindruckt haben, dann sind Sie auf dem Holzweg. Sie sind Medizinerin und offenbar arrogant genug zu glauben, dass Sie es hier mit lauter Dummköpfen zu tun haben. Besser wäre es, wenn Sie mit uns kooperieren. Und sich zum Beispiel überlegen, was sich diese Dummköpfe wohl denken, wenn sie es mit einer Zeugin zu tun haben, aus der in kürzester Zeit eine Tatverdächtige wurde. Und dies praktisch ohne unser Zutun. Sie sagen, dass Sie einer lieben alten Freundin einen kleinen Dienst erweisen wollten. Einerseits. Andererseits trauen Sie dieser Freundin aber fraglos zu, ein schreckliches Verbrechen begangen zu haben. Obwohl Sie von dieser lieben, schrecklichen Freundin angeblich seit Jahren nichtsmehr gehört haben. Das ist fast schon himmelschreiend unglaubwürdig, Frau Dr. Colani. Und Ihr kluger Kopf sollte jetzt die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Sie haben die Wahl.«
Margrit Colani hatte nicht mehr zugehört. Sie schaute auf Schilds Stirn. Der Fleck, das war ein malignes Melanom. Der Mann hatte schwarzen Hautkrebs.
»Herr Schild?«
»Frau Dr. Colani, unsere Unterhaltung ist beendet.«
»Herr Schild, Sie sollten sich …«
»Wie gesagt: Das Gespräch ist für heute beendet.«
B undespräsident Diller und Verteidigungsminister Fässler erwarteten die Kanzlerin auf dem Flughafen Bern-Belp. Das Wetter hatte umgeschlagen, und es war für die Jahreszeit ziemlich kühl. Aber vielleicht war es auch die innere Kälte, die Diller und Fässler spürten, als die Kanzlerin aus dem Super Puma stieg und stehen blieb, bis die Rotoren stillstanden.
Das Gesicht der Kanzlerin wirkte versteinert, und Diller entschloss sich spontan, sie zu umarmen.
Die Einladung, an der Sondersitzung des Parlaments teilzunehmen, lehnte sie ab – das war verständlich. Kari Fässler schlug vor, sich in der Halle ein paar Minuten zu besprechen, aber die Kanzlerin winkte ab. Dass sie sofort nach Berlin fliegen wollte – auch das war nur normal. Andererseits kämpften Diller und Fässler mit diffusen Schuldgefühlen, was der Kanzlerin nicht entging. »Meine Herren, wir alle sind tief betroffen. Sie und ich. Aber was geschehen ist, haben wir nicht zu verantworten.«
Dann schwieg sie, und Diller wusste, dass er nicht auf ihre Frage warten durfte, dass er jetzt reden musste. »Es hat keine Überlebenden gegeben in der Säntisbahn«, sagte er schliesslich, zutiefst unglücklich über seine Wortwahl, aber mehr Sätze hatte er nicht.
»Niemand musste leiden«, sagte Kari Fässler. »Das Kohlenmonoxid hat schnell gewirkt. Nach ein, zwei Minuten war alles vorbei.« Und weil die Kanzlerin schwieg, fügte er hinzu: »Das ist kein Trost, ich weiss.«
Als Bundespräsident Diller die Kanzlerin noch einmal in die Arme nahm, verlor sie für einen kurzen Moment die Beherrschung. Tränen liefen ihr über die Wangen, und Fässler nahm sein Taschentuch aus der Hosentasche und reichte es ihr.
»Wir kriegen sie«, sagte Fässler.
»Wo sind Herr Kranich und Herr Caspers?«, fragte die Kanzlerin.
»Startbereit«, sagte Diller, »sie sitzen schon im Flugzeug.«
»Gibt es erste Hinweise auf die Täterschaft?«
»Ja«, sagte Fässler, aber bevor er weiterreden konnte, sagte die Kanzlerin: »Ich werde mich vom Krisenstab informieren lassen. Und Sie halten mich bitte ebenfalls auf dem Laufenden. Aber jetzt, jetzt …«
Diller ging noch einmal auf sie zu und wollte sie umarmen. Doch die Kanzlerin hatte sich gefasst. »Danke, Herr Bundespräsident, ich danke Ihnen. Und bitte entschuldigen Sie mein Fehlen bei der Parlamentssitzung.«
» H err Kranich, wer macht so etwas?«
»Es gibt Verrückte, es gibt immer wieder Verrückte«, sagte Caspers, der links von der Kanzlerin sass. »Verrückte! Verbrecher!« Er schüttelte den Kopf und schaute aus der Flugzeugluke.
»Herr Kranich, ich möchte es von Ihnen wissen. Wer macht so etwas?«
Sie sah erschöpft aus. Es war, als ob ihr Körper alle Energie verloren hätte, geschrumpft sass sie im Flieger, kein Muskel mehr, der noch die Kraft hatte, ihre Gesichtszüge zu kontrollieren, keinGedanke, der nicht erdrückt wurde, bevor er in ihrem Kopf hätte andere Gedanken auslösen können. Sie war total spannungslos und doch nicht entspannt. Fast tonlos hatte sie ihn gefragt.
»Vielleicht machen das auch Verrückte«, sagte
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