Die Kanzlerin - Roman
die Klügeren waren. Jetzt aber sind wir am Zug. Sie allerdings künftig nur, wenn Sie damit aufhören, mir Ihre – im Übrigen mit einem weissen Belag behaftete – Zunge rauszustrecken. Können wir so verbleiben, Herr Auerbach?«
Als Dexter Flimm zu längeren Ausführungen über die neue Anarchoszene ausholte, die er dramatisch als »Volksseuche« bezeichnete in der Annahme, dass sich die Kanzlerin an die Warnungen seines Ministers Eisele erinnern würde, unterbrach sieihn sofort. »Herr Flimm, Benedikt Eisele hält heute Abend eine Rede an die Nation. Das habe ich so angeordnet, und der Bundespräsident ist damit einverstanden. Und das ist mein Vizekanzler Schiller auch, der noble Sozialdemokrat, der sich auf meinen Stuhl setzen möchte.«
Dexter Flimm antwortete rasch: »Herr Minister Eisele ist der oberste Sicherheitschef unseres Landes. Er hat das Wort, kein anderer. Es sei denn, Sie möchten sich an die Nation wenden …«
Die Kanzlerin hatte den Raum so unauffällig verlassen, dass es eine Weile dauerte, bis Dexter Flimm, Jens Brack und Kai Auerbach realisierten, dass sie allein in ihrem Büro sassen.
» W ladimir, hast du mehr gewusst, als du mir gesagt hast vor ein paar Tagen?«
Putin simste sofort zurück: »Nein, Xenia. Und was passiert ist, das tut mir in der Seele weh. Es ist so schrecklich. Mein Herz blutet, und ich versichere dir, dass mein Präsident Medwedjew alles tun wird, damit dieser schreckliche Terroranschlag aufgeklärt wird. Xenia, ich bin jederzeit für dich da. Ich versichere dich und das deutsche Volk meines aufrichtigen, tiefempfundenen Beileids. Wenn du mich brauchst, fliege ich morgen sofort nach Berlin. Dein Wladimir.«
Die Kanzlerin liess sich, in Begleitung von Kranich, nach Hause bringen, nahm ein Bad, stellte den Fernseher an und schaltete ihn wieder aus. Noch eine knappe halbe Stunde bis zu Eiseles Rede.
J ubilar: »Du hast Regie geführt.«
Cookie: »Dass die Kanzlerin die Kabine bei diesem inoffiziellen Zwischenhalt der Bahn verlassen würde, konnte niemand wissen.«
Jubilar: »Und warum ging sie raus?«
Cookie: »Nach meinen Informationen ist es ihrem Berater Kranich schlecht geworden. Er ging raus, und sie ging mit.«
Jubilar: »Trotzdem gratuliere ich. Das Aufsehen ist gewaltig. Aber um unseren Erfolg zu garantieren, brauchen wir mehr.«
Cookie: »Ich brauche Anweisungen.«
Jubilar: »Die Ermittler werden sich nicht zufriedengeben mit einer durchgeknallten St. Galler Ärztin und zwei toten Attentätern. Wir müssen sie füttern, Cookie.«
Cookie: »Mit wem? Die Person muss hochkarätig sein und alle anderen Fährten abblocken.«
Jubilar: »Rotkehlchen wäre möglich. Sie hat Morde begangen. Sie ist fanatisch. Und ich kann sie erpressen.«
Cookie: »Jodler. Wäre für die Ermittler ein perfekter Anführer. Oder von Aretin.«
Jubilar: »Der Regierungssprecher wird in einer Woche spätestens zurücktreten. Ich hab es ihm schon gesagt.«
Cookie: »Du könntest mich opfern.«
Jubilar: »Du scheinst darauf gefasst.«
Cookie: »Ja. Aber ich bin vorbereitet.«
Jubilar: »Wir opfern Tricolor.«
Cookie: »Du hast ihm alles zu verdanken. Er hat einen Topjob gemacht. Ohne ihn hätte es kein Attentat gegeben.«
Jubilar: »Eben. Auch darum. Aber vor allem: Er hat ein Motiv. Und es ist kein politisches Motiv. Sie werden ihm nachweisen, dass er aus Rache gehandelt hat.«
Cookie: »Die Dexter-Flimm-Geschichte?«
Jubilar: »Flimm hat ihn gedemütigt. Er hat ihn erniedrigt. Er hat ihn entmachtet. Tricolor wollte sich rächen. Und war dazu als Geheimdienstprofi bestens ausgebildet. Haben sie Tricolor, haben sie ihr Problem gelöst.«
Cookie: »Eine Tat, die nichts mit Politik zu tun hat.«
Jubilar: »Wer macht es?«
Cookie: »Rotkehlchen ist die Beste.«
Jubilar: »Ich möchte, dass der Controller eng gedeckt wird.«
Cookie: »Das erledigt Silikon-Susi.«
Jubilar: »Ob die Kanzlerin ihn feuert oder behält – darauf habe ich keinen Einfluss. Behält sie ihn, überlebt er es. Und was machst du?«
Cookie: »Neuer Botschafterposten. In der Schweiz. Und ich denke, dass ich dafür dir zu danken habe.«
Jubilar: »Es ist so einfach zu töten. Und so schwierig, lebendig zu sein. Du weisst, wer ich bin. Warte auf deine Informationen.«
L oderer öffnete die SMS erst, als er an seinem Schreibtisch im Presseamt sass. »Werter Herr Loderer. Kennen Sie Les Fleurs du mal von Baudelaire? Vielleicht finden Sie dort etwas Passendes für die Rede. Ansonsten: kein hohles
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