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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Rede für Redenschreiber‹. Und diese Mail stammt von einem gewissen Filip Loderer, und Sie haben bisher nicht bestritten, dass Sie mit dieser Person identisch sind. Die Rede war als PDF-Datei angehängt und die E-Mail grusslos – was allein schon für eine gewisse Unfreundlichkeit spricht. Womit ich allerdings vom eigentlichen Inhalt nicht ablenken will: Ist da einer meiner Mitarbeiter plötzlich von allen guten Geistern verlassen, habe ich mich gefragt, Herr Loderer, und die Frage richtet sich an Sie.«
    Er hatte der Kanzlerin noch nie geschrieben, ihre Adresse war in seinem Computer nicht gespeichert, er konnte also auch nicht versehentlich auf die falsche Taste gedrückt haben. »Ich weiss nicht, wie das passieren konnte. Es kommt vor, dass ich Schreibübungen mache, um nicht aus dem Rhythmus zu kommen, aberdas war keine Rede, die Sie je hätten halten sollen, das war nur meine Rede, nur für mich gedacht, nicht für Sie.«
    »Ein bisschen enttäuscht bin ich jetzt aber doch, Herr Loderer, dass Sie mir eine solche Rede offenbar nicht zutrauen, denn einen gewissen Charme kann man ihr ja nicht absprechen. Und einen gewissen Witz möchten Sie der Kanzlerin ja hoffentlich auch nicht absprechen wollen. Also, es gab Passagen, die mich – fast – zum Lächeln gebracht haben. Nehmen Sie das als Kompliment. In welcher Abteilung arbeiten Sie denn?«
    »Referat 3«, sagte Loderer, »Bundespresseamt. Auswertung von Pressematerial, manchmal auch Rundfunk, selten Reden.«
    »Ich vermute mal, Herr Loderer: Reden schreiben gar nie, Auswertung der Medien nur sehr sporadisch, und im Übrigen langweilen Sie sich. Vermutlich sind Sie ein Bonner, und man hat Sie hier in Berlin geparkt. Und, ehrlich gesagt, sehen Sie auch noch etwas zu jung aus, selbst für einen potentiellen Frühpensionär.«
    »Ich langweile mich nicht«, sagte Loderer, sah in das Gesicht der Kanzlerin, sah die Frage und beantwortete sie selbst: »Nur manchmal«, sagte er, »manchmal schon.«
    »Kein Mensch schreibt freiwillig eine Rede, Herr Loderer, und schon gar nicht eine Rede für eine Kanzlerin, die bekannt oder sogar berüchtigt ist dafür, mit Redenschreibern nicht immer einen sehr aufmunternden Umgang zu pflegen und höchste Ansprüche zu stellen. Sie aber haben mir eine ebenso aufwendig gestaltete wie konfuse Rede verpasst, was mir sagt, dass Sie offenbar nichts Besseres zu tun hatten. Wobei ich Ihnen gerne attestiere, dass Sie über ein gewisses sprachliches Ausdrucksvermögen verfügen, wenn auch ohne die geringste Ahnung davon zu haben, was ich denke. Und noch wichtiger: woran mir liegt, wenn ich für mich denken lasse.«
    Die Pause, die nun entstand, ergab sich wie von selbst. Weder wollte die Kanzlerin es bei diesen Worten bewenden lassen, nochhatte Loderer das Gefühl, dass das Gespräch zu Ende war. Aber beide schwiegen sie und hingen Gedanken nach.
    »Es ist doch so, Herr Loderer: Wenn zwei Menschen in einem Raum sind und denken, dann ist das in der Regel eine angenehme Stille. Weil sie gefüllt ist. Woran Sie konkret denken, weiss ich nicht, und es ist mir auch herzlich egal. Aber Sie scheinen mir ein nachdenklicher Mensch zu sein und kein Schwätzer, und das gefällt mir. Und Sie haben sich auf eine Art und Weise Gedanken über das Reden gemacht, die mir imponiert, obwohl es, wie gesagt, eher nur am Rande mit dem zu tun hat, was ich sagen möchte, wenn ich den Redenschreibern etwas sagen wollte. Was ich vielleicht gelegentlich auch tun müsste, worauf mich Ihre Rede aufmerksam gemacht hat. Ich kenne sie auswendig. Wenn ich einen Text einmal überflogen habe, Herr Loderer, dann kenne ich ihn. Sie gestatten mir ein paar Fragen dazu?«
    Loderer nickte.
    »Zuallererst – aber dann wollen wir es bewenden lassen mit Komplimenten, aus denen Sie ansonsten falsche Schlüsse ziehen könnten: ›Schnabelgerecht‹, der Begriff hat mir gefallen, und er passt auch zu mir. Vielleicht hätten Sie bei dieser Gelegenheit auch auf den einen oder anderen Grünschnabel aufmerksam machen können, der grünes Zeugs schnattert. Obwohl wir die Grünen ja vielleicht bald ziemlich ungehemmt schnabeln lassen müssen. Und wenn die Castorff redet, dann hab ich immer das Gefühl, dass mir jemand nach einem Fünfgangmenü noch eine Sahnetorte anbietet. Allein bei dieser Vorstellung wird mir übel. Vor diesem Hintergrund, Loderer, ist es eine Frechheit, mich sagen zu lassen, dass meine Redebegabung vergleichsweise klein ist. Welche Vergleichsgrössen hatten Sie im

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