Die Kanzlerin - Roman
verübeln, dass sie auch an Tagen auf ihn wartete, an denen er nicht kam. Wobei er sie auch schon positiv überrascht und an einem solchen Tag besucht hatte, zusätzlich besucht sozusagen, was seine Mutter aber nicht speziell gewürdigt hatte. Sie hatte nur gesagt: »Na also. Geht doch. Geht doch auch so, mein Sohn.«
Bossdorf ging etwas schneller, und sofort war seine Stirn verschwitzt, und er nahm den beissenden Geruch in seinen Achselhöhlen wahr. Er war zu dick, und sie war daran schuld. Schon als Kind hatte sie ihn gefüttert mit allem, was er angeblich am liebsten ass. Letztlich gab es nichts, was er nicht am liebsten zu essen hatte. So wurde er dick – und blieb es. Seine Bauchringe, das Fett um die Hüften: Wenn er sich im Spiegel sah, äffte er gelegentlich Hüftschwünge nach, die Männer in der Regel nicht machen. Auch sein Hintern war zu fett, die Frauen standen bekanntlich auf Knackärsche.
Vor Monaten hatte er es wieder einmal gewagt und seiner Mutter eine Frau vorgestellt. Eine Katastrophe. Und vielleicht hatte sie ja recht. Die Beziehung ging bald darauf zu Ende, Mütter spüren so etwas. Trotzdem fand es Bossdorf seltsam, dass er noch nie einer Frau begegnet war, die seiner Mutter passte. Andererseits fühlte er sich wohl, wenn er allein bei ihr war, sich auf das viel zu weiche Sofa setzte, sie redete und er ihr das Gefühl gab zuzuhören.Bossdorf roch an einer Blume. Ekel. Immer wieder wurde er von diesem Gefühl übermannt, auch ohne verständlichen Anlass. Die Blume roch, wie Blumen riechen, und löste trotzdem Ekel aus bei ihm. Vielleicht hatte seine Mutter nicht mehr lange zu leben, wer weiss das schon, und er ekelte sich beim Duft von Blüten, die er ihr mitbrachte – pervers, dachte Bossdorf, doch das Gefühl von Ekel blieb, und der Schweiss tropfte von seiner Stirn. Ekel, Ekel, Ekel – – – wehe mir!, hatte Nietzsche geschrieben.
Bossdorf klingelte. Früher trug sie die Haare meist hochgesteckt, jetzt wallten sie ihr bis auf die Schultern und waren manchmal so strähnig, dass Bossdorf sich schämte. Was sie sich gönnte, hätte er sich nie erlauben dürfen.
»Komm rein, ach, mein Sohn. Du kommst ja schon wieder allein. Du bist immer allein. Es würde mich so freuen für dich, wenn du wieder einmal eine Begleitung finden würdest. Aber komm rein, ich hab Schokocreme gemacht, mit frischer Sahne, so wie du das magst. Hast du abgenommen?«
In diesem Augenblick erinnerte sich Bossdorf an ein anderes Zitat von Nietzsche. Einmal, in seiner Pubertät, hatte er ein DIN-A4-Poster mit Marilyn Monroe mit einem Nietzsche-Spruch verschmutzt und ihr mit schwarzer Schrift auf die Titten geschrieben: Der Ekel am Menschen, am »Gesindel« war immer meine grösste Gefahr … Die halbnackte Frau hatte seine Mutter toleriert, den Spruch nicht, sie entfernte das Poster sofort.
B ossdorf schämte sich, als er sich an den Computer setzte. Was die Kanzlerin von ihm verlangte, war eine Zumutung, weil die Medien bereits ausführlich über dieses Thema berichtet hatten. Oslo. Eröffnung der neuen Oper. Perlenkette, tiefer Ausschnitt, die Kanzlerin hatte wirklich Aufsehen erregt. Die Bilder gingen um die Welt, und eine Zeitung titelte: Darf sich Deutschland damitbrüsten? Am Ende einer Pressekonferenz, bei der es um Milchpreise ging oder um die Freilassung einer deutschen Geisel in Afghanistan – Bossdorf hatte es vergessen –, äusserte sich sogar Vizeregierungssprecher Brod dazu. Die Bundeskanzlerin sei ein bisschen erstaunt gewesen, sagte er und würdigte das schwarze Abendkleid mit petrolfarbener Stola als »Neukomposition«. Und dass dieses »Neuarrangement aus dem Bestand der Bundeskanzlerin« für »solche Furore gesorgt« habe, »lag nicht in der Absicht der Kanzlerin«. Und Brod rüffelte die Welt und sagte, wenn die Welt über nichts Wichtigeres zu reden habe als über Abendkleider, dann könne man ihr wahrscheinlich nicht mehr helfen. Abschliessend aber stellte er fest, dass die Kanzlerin auch sehr viel Anerkennung für ihre Kleidung erfahren habe.
Bossdorf gab nur zwei Suchbegriffe ein: »Kanzlerin Dekolleté«. Und las, fettgedruckt: »Retuschierte Fettrolle, weisse Wanderhose«, wobei sich die Fettrolle auf Frankreichs Sarko bezog, der offenbar einmal in einem Kanu gepaddelt und dabei unangenehm aufgefallen war. Die hautengen Wanderhosen trug ein eher unbekannter Politiker, und im Übrigen ging es um die lebenslange Suche von Hillary Clinton nach der richtigen Frisur.
Ȁrmchen
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