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Die Kanzlerin - Roman

Die Kanzlerin - Roman

Titel: Die Kanzlerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Steuern.«
    Abo: »Und in der Blödzeitung steht heute, die hätte mehr Ausstrahlung als Carla Bruni.«
    Kleinklein: »Das hast du falsch verstanden. Da stand bestimmt etwas von Strahlung.«
    Fifa: »Also, ich geb dann mal meine Kontodaten durch und verklag den Staat Deutschland auf Schadenersatz.«
    Klimax: »Piep, piep, pieps im Oberstübchen.«
    Bossdorf druckte die Seiten aus und steckte sie in ein rosafarbenes Mäppchen. Dieses steckte er in ein blütenweisses Kuvert und schrieb darauf: »Für die Frau Kanzlerin. Mit freundlichen Grüssen, Bossdorf.« Und in Klammern: »So weit bin ich fündig geworden, in hoffentlich angemessener Zeit. Bitte lassen Sie mich wissen, wenn ich weiter recherchieren soll, das Netz ist gross …« Oder sollte er die Pünktchen weglassen? Könnte sie das als Anspielung verstehen? Und falls ja, worauf? Und wäre das in seinem Sinn?

B lei. Blei im Kopf. Diese plötzliche Müdigkeit. Loderer schluckte eine Tablette und legte sich auf den Büroboden, unter den Schreibtisch, weil die Büros alle verglast waren. Jeder sollte jeden sehenkönnen. Keiner sollte sich verstecken und verkriechen können. Nicht im Grossraumbüro, nicht in den Einzelbüros. Alle gleich genormt. Und weil alle für alle sichtbar waren, hatten sich alle undurchsichtige Gesichter zugelegt. Wer hier arbeitete, hatte ein undurchschaubares Gesicht zu machen, eine Reaktion, die Loderer zwar verstand, die ihn gleichzeitig aber lächerte. Hunderte von Mitarbeitern mit Pokergesichtern. Und alle erweckten den Eindruck, als ob sie ein Ass im Ärmel hätten oder zwei oder ein Full House.
    Loderer hasste Glas. Es gab kein Material, das in ihm ein ähnliches Unbehagen auslöste. Aber die Architekten hatten aus Berlin eine Glasstadt gemacht. Die Glaskuppel über dem Reichstag, der neue Hauptbahnhof, das Lafayette, das Kanzleramt, Glas, alles Glas. Aber kein zerbrechlich wirkendes Glas, sondern hartes Glas. Sicherheitsglas. Doppelt, dreifach, zigfach verglast. Die Architekten waren stolz. Berlin, die durchsichtige Stadt. Eine Stadt, die alles zeigt und in der es keine finsteren, verborgenen Orte gibt. Berlin ist so hart wie Glas. Die Menschen haben Glasaugen und sehen alles glasklar. So sprechen sie auch. Hart wie Glas. Auch in den unzähligen Parkanlagen Glas im Gras. Zersplitterte Bierflaschen. Zerschmettert vom lustigen, besoffenen, wütenden Volk. Und manchmal fallen Glasbrocken von den Dächern. Beim Kaufhaus, beim Hauptbahnhof, in dieser Stadt kann es überall Glas regnen. Und in keiner anderen deutschen Stadt sind die Hagelkörner so gross und so hart wie in Berlin. Und weil die Hauptstädter prinzipiell keine Regenschirme bei sich haben, prallen die Hagelkörner auf die Köpfe der Menschen, auf die Autos, auf seinen Roller. Glaswest, dachte Loderer und holte ein Kissen aus dem Schrank.
    In seiner ersten Arbeitswoche war er in eine Glastür gelaufen, mit der Nase auf die transparente Republik geprallt, so dass er sich zwei Operationen unterziehen musste, um die Nase wieder zurichten. Seither wusste er, wann das Wetter wechselte. Es juckte, und es kam vor, dass er zwanzig- oder auch dreissigmal niesen musste, was Anwesende mindestens dreimal dazu nötigte, Gesundheit zu sagen, bevor sie kapitulierten.
    Es gibt kein Holz in Berlin, dachte Loderer einmal, als er im hässlichen brandenburgischen Umland unterwegs war. Da steht kein einziger würdiger alter Baum. Und die Waldwege führen durch Lichtungen, die Loderer wahrnahm wie Köpfe mit Haarausfall.
    Blei im Kopf. Ein Leben lang hatte er Meinungen für andere gemacht und seine eigene für sich behalten. Die Tablette wirkte nicht. Loderer stand auf, rollte das Kissen ein, verpackte und verstaute es, dann ging er zum Fenster, zum Tisch, zum Bildschirm, eine Nachricht von Frau Male.
    »Vermutlich habe ich dich schon einmal gefragt. Dann entschuldige. Controller, bist du geschieden, getrennt? Und wie war sie?«
    Loderer schrieb: »Sie war laut, und sie war leise. Sie schlüpfte in meine Haut und ich in ihre. Sie war meine Seele und ich ihre Fassung. Jetzt habe ich keine Seele mehr und bin fassungslos. Wir hatten zwei Jahre.«
    Dann schüttelte ihn ein Weinkrampf. Ein Aufschrei seiner entzündeten Nervenzellen. Swenja hatte es immer wieder gesagt: »Du wirst mich suchen, aber nicht finden.«
    Loderer hörte nicht, dass jemand an die Tür klopfte.

K ranich äusserte sich prinzipiell nicht in der Morgenrunde. Es war ein Ritual, aber Politik wurde hier nicht gemacht. Es ging um

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