Die Kanzlerin - Roman
indirekte Anspielungen zu machen auf diesen Spitznamen. Aber Mozart.
»Ich will wissen, mit wem ich es zu tun habe, Mozart. Bei dieser Gelegenheit: Sie haben es mit der Kanzlerin der BundesrepublikDeutschland zu tun, die Ihnen eigentlich nicht fremd sein dürfte.«
»Ich bin Mozarts Sängerknabe.«
»Singe, wem Gesang gegeben. Was haben Sie mir zu sagen oder zu verraten?«
»Wer singt, will nicht immer nur sein eigenes Leben retten.«
»Sie sind also Mozart, der Lebensretter. Der womöglich nicht mal sein eigenes, sondern zuerst fremdes Leben rettet. Das hört man ja immer wieder, dass Mozarts Musik auch das Leben von Hunden verlängert oder jedenfalls das ihrer Halter. Wem also wollen Sie Gutes tun und warum und für wen?«
»Auftraggeber unwichtig. Warum unwichtig? Nur das Leben ist wichtig. Und ich passe auf Sie auf.«
»Mozart, der Schutzengel.«
»Wenn Sie so wollen.«
»Ich will gar nichts, Musikant. Und wenn Sie angedeutet haben wollen, dass mir etwas passieren könnte, dann weise ich Sie jetzt darauf hin, dass diese kleine Unterhaltung selbstverständlich nicht unter uns bleiben wird. Die Dienste werden sich mit Ihnen beschäftigen und Sie auch kriegen. Und überdies: Ich lasse mich nicht einschüchtern und auch nicht belämmern, auch nicht von Mozart.«
»Ich passe auf Sie auf, so wie viele andere auch. Aber im Moment bin ich wichtiger für Sie als alle anderen.«
»Werden Sie endlich konkret!«
»Das Problem ist: Ich weiss etwas. Würde ich dieses Wissen aber jetzt weitergeben, würde Ihnen das nichts nützen. Die Gruppe würde trotzdem weitermachen und wäre für Ihre Dienste nicht zu stoppen.«
»Das werden wir ja sehen.«
»Alles, was passieren kann, würde in diesem Fall – wenn ich rede – ohne mein Wissen passieren.«
»Also wissen Sie viel. Und Sie reden viel, sagen aber nichts.«
»Ich bin auf dem Laufenden. Teilweise. Könnte Infos liefern bis zum letzten Augenblick oder besser gesagt: bis zum vorletzten. Um Ihnen den letzten vielleicht ersparen zu können.«
»Mozart, Sie drohen mir mit dem Tod.«
»Die Gruppe droht, nicht ich.«
»Wie heisst diese Gruppe?«
»Egal. Aber es soll abgerechnet werden.«
»Mit wem?«
»Was die Gruppe plant, ist völlig unberechenbar, noch.«
»Aber der Mozart, der ist ein Rechenkünstler.«
»Nein. Aber ich kann eins und eins zusammenzählen, und das bis kurz vor Schluss. Und vielleicht kann ich ein besseres Ende herbeiführen.«
»Mozart, das ist eine sehr dumme Argumentation. Weil Schluss ist Schluss, und einen Unterschied zwischen ›Schluss‹ und ›Ende‹ sehe ich nicht, letztendlich und abschliessend gesagt. Also offenbaren Sie sich. Damit es für Sie nicht das schlimmstmögliche Ende nimmt. Denn damit müssen Sie rechnen.«
»Vertrauen Sie mir.«
»Ich vertraue keinem. Und ich werde jetzt Massnahmen ergreifen. Mozart, Sie sind keine Sicherheit für mich, sondern eine Bedrohung.«
Die Kanzlerin war aufgebracht. »Kranich«, rief sie mit lauter Stimme. »Kranich, wo sind Sie?«
Er war in seinem Büro und hörte nichts.
Die Kanzlerin nahm den Telefonhörer. »Herr Haxer, bitte kommen Sie in mein Büro, und zwar sofort, wenn ich bitten darf.«
G abriela Hell war eine schöne Frau: mit 1,68 nicht sehr gross, aber mit durchtrainiertem Körper und einer Haut, die Männer in U-Bahnen oder anderen Örtlichkeiten, in denen sich körperlicheNähe nicht vermeiden lässt, manchmal dazu brachten, sie wie unabsichtlich zu berühren. Aber Gabriela Hell gehörte nicht zu jenen Frauen, die daraus eine Staatsaffäre machen. Zum einen kannte sie die Männer und begegnete ihnen folglich generell mit einem gewissen Mitleid, zum anderen war sie selbstbewusst genug, um zu wissen, dass sie in praktisch jeder Situation die Oberhand hatte und also kein hilfloses Objekt war. Sie war stark, sie war ausgebildet: Nahkampftechniken, Combatschiessen – sie war eine ausgezeichnete Schützin und vor allem: furchtlos. Ihre Aufgabe erforderte Disziplin und eine nie nachlassende Aufmerksamkeit auch dann, wenn sich stunden- oder gar tagelang nichts ereignete: Hell entging nichts, es durfte ihr nichts entgehen.
Ein paar Tage zuvor hatte sie Oliver Kahns Biographie gelesen, das Leben eines Torhüters, der leider erst gegen Ende seiner Karriere begriffen hatte, dass sein Beruf ihm auch Freude machen kann, aber, und das hatte Gabriela Hell tief beeindruckt: Kahn war es gelungen, sich mental so zu schulen, dass es ihm möglich war, den Ball während 90 Minuten
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