Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
während sie sich ihm gegenüber neben Frau Graf setzte. Sie hatte damals mächtig unter Druck gestanden. „Für die Tawes AG sieht es nicht gut aus, habe ich gelesen“, nahm sie den Faden wieder auf.
„Bei Gott nicht. Das alte Lied. Die neuen Inhaber schlachten die Firma aus und schließen sie über kurz oder lang. Über tausend Arbeitsplätze in Hannover sind gefährdet. Eine schlimme Angelegenheit, aber wohl unvermeidbar. Die Globalisierung fordert ihre Opfer. Damit müssen wir Deutschen uns abfinden, so bedauernswert es ist. Hübner hat es vorausgesehen. Aber lassen Sie uns zum Grund Ihres Besuches kommen. Wir machen uns Sorgen um Herrn Baumgart. Nach dem, was Tobias Wächter widerfahren ist …“
„Er war häufiger in unserer Firma, meistens hat er mit Herrn Baumgart zu Mittag gegessen. Manchmal haben sie sich auch abends getroffen.“
Dass Hansen von der Sekretärin unterbrochen wurde, gefiel ihm nicht. Sein finsterer Blick sprach Bände. Verena ließ sich davon nicht beirren. Ihre nächste Frage richtete sie direkt an die Sekretärin. „Hatte er noch andere Termine in Berlin?“
„Nein, nur mit Herrn Milner. Hätte er weitere Termine gehabt, wüsste ich das. Ich habe alle seine Termine vereinbart.“
Hansen meldete sich zu Wort. „Was die Geschäfte mit Herrn Milner angeht, damit hat die Baumgart Holding nichts zu tun. So wie ich am Rande mitbekommen habe, ging es um gemeinsame Investments. Herr Baumgart hat ja noch eine zweite Firma, die auf dem Immobilienmarkt tätig ist. Ankauf und Bebauung von Grundstücken, um anschließend die Immobilien zu verkaufen.“
Erneut wandte sich Verena der Sekretärin zu. „Was genau hat Herr Milner über das nicht zustande gekommene Treffen mit Ihrem Chef gesagt?“
„Nicht viel. Nur dass unser Chef zum vereinbarten Termin nicht erschienen ist. Ich arbeite seit fünfzehn Jahren für ihn und kann mich an keinen einzigen Vorfall dieser Art erinnern. Da stimmt etwas nicht.“
„Finden Sie es nicht eigenartig, dass Herr Milner gestern Nachmittag nicht hier angerufen und nachgefragt hat, wo Ihr Chef bleibt?“, hakte Verena nach.
Frau Graf musste niesen. Sie nestelte in ihrem Blazer und beförderte ein knallrotes Spitzentaschentuch hervor.
„Ehrlich gesagt, nein. Herr Milner ist ein merkwürdiger Mensch. Ein steinreicher Russe, sehr kontaktscheu und wortkarg. Er lebt erst seit einigen Jahren in Deutschland.“
Der Tonfall ließ erahnen, dass Russen nicht zu ihren Lieblingsbürgern gehörten. Auf einmal fiel es Verena wie Schuppen von den Augen. Milner hatte bereits bei den Staatskanzleimorden eine Rolle gespielt. Einer seiner Leute hatte Ministerialrätin König zum Krüppel geschlagen. Angeblich war es um eine gescheiterte Liebesaffäre gegangen. Ihr Kollege Stollmann war damals felsenfest davon überzeugt gewesen, dass es in Wahrheit um illegale Geschäfte ging und die Ministerialrätin mundtot gemacht werden sollte. Ihr Kollege hatte in Erfahrung gebracht, dass der russische Oligarch in den Neunzigerjahren der führende Kopf einer Mafiaorganisation in St. Petersburg war.
Hansen bestätigte ihre Erinnerung. „Boris Milner ist einer der berühmt-berüchtigten Oligarchen, die die Perestroika nach oben gespült hat. Er soll mehrfacher Milliardär sein und unterhält zahlreiche Firmenbeteiligungen in Niedersachsen. Aber wie gesagt, ich selbst habe ihn niemals getroffen.“
Das hörte sich für Verena nach einer Rechtfertigung an. Dabei hatte sie ihm gar nichts vorgeworfen. „Ich brauche die Kontaktdaten von Herrn Milner“, sagte sie.
Frau Graf zögerte. Erst nach einem kaum merklichen Kopfnicken Hansens erhob sie sich. Was wurde hier gespielt? Eines stand fest, es war ein Spiel mit verdeckten Karten. Beide gingen nicht offen mit ihr um.
Hansen nutzte die Unterbrechung und entnahm der Schale auf dem Glastisch vor sich ein mit dem Firmenlogo der Baumgart Holding bedrucktes Bonbon. Während er es umständlich auswickelte, stellte er fest: „Eines kann ich mit Sicherheit sagen: Herr Baumgart ist sehr akkurat, was die Einhaltung von Terminen betrifft. Fast könnte man ihn als Pünktlichkeitsfanatiker bezeichnen.“
„Wenn es so ist und Sie sich Sorgen machen, sollten Sie eine Vermisstenanzeige aufgeben“, schlug Verena vor.
Regina Graf, die in diesem Moment zurückkam und ihr einen Zettel reichte, fühlte sich angesprochen.
„Das habe ich seiner Frau bereits vorgeschlagen. Die will noch abwarten.“ Sie setzte ein missbilligendes Gesicht auf. „Wenn
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