Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
vor. Aber wo hatte sie ihn bloß schon einmal gehört? „Haben Sie es bei Herrn Baumgart zu Hause versucht?“
„Selbstverständlich. Seine Frau weiß auch nicht, wo er sein könnte. Sie ist irritiert wegen Heiko von Heidewald.“
Heiko von Heidewald, wer in Gottes Namen war denn das schon wieder?
Frau Graf schien ihre unausgesprochene Frage zu ahnen. „Heiko von Heidewald ist der Name des Jagdhunds von Herrn Baumgart. Er muss dringend ausgeführt werden. An sich macht das ja der Fahrer, aber der hat sich einige Tage Urlaub genommen. Sie müssen wissen, Herr Baumgart hängt sehr an dem Tier und er hätte es nie zurückgelassen, ohne vorab zu klären, wer sich darum kümmert. Seine Frau kann den Hund nämlich nicht ausstehen. Ich habe ihr versprochen, nach Dienstschluss mit ihm spazieren zu gehen. Ein Jagdhund braucht Auslauf. Langsam mache ich mir ernsthaft Sorgen. Man liest ja so viel über Entführungen.“
„Entführer hätten sich gemeldet“, beruhigte Verena die aufgeregte Frau, auch wenn sämtliche Alarmglocken bei ihr schrillten. „Es gibt sicher eine harmlose Erklärung“, sagte sie, obwohl sie das Gegenteil dachte. „Vielleicht musste er spontan einen wichtigen Termin in einer anderen Stadt wahrnehmen.“
Der Widerspruch kam wie aus der Pistole geschossen. „Niemals! Dann hätte er mir Bescheid gesagt. Herr Baumgart ist ein zuverlässiger Mann.“
Verena versprach vorbeizukommen. Baumgart war ein wichtiger Zeuge in einem Mordfall und sein plötzliches Verschwinden in mehrfacher Hinsicht alarmierend. Sie griff nach Jacke und Handtasche und machte sich auf den Weg. Mit dem Leiter der KOST würde sie später telefonieren.
Auf dem Flur lief ihr Hetzel über den Weg. „Ich war gerade auf dem Weg zu Ihnen. Sie wollten mich doch sprechen.“
Schon wieder dieses überhebliche Grinsen. Das machte sie noch wahnsinnig. Mit den Worten „Jetzt nicht!“ ließ sie ihn stehen.
14
H ANNOVER
Die Baumgart Holding residierte in bevorzugter Lage in der Baumschulenallee in unmittelbarer Nachbarschaft namhafter Konzernzentralen. Ein schwarz lackierter, fast zwei Meter hoher Zaun schützte den Glaspalast vor Eindringlingen. Der Rasen, wie geleckt, hätte jedem Golfplatz zur Ehre gereicht. Verena hatte die Türklingel kaum betätigt, als das Tor aufsprang.
Im Hauseingang stand eine elegant gekleidete Dame mit Hochsteckfrisur, die um die fünfzig sein mochte. Sie sah besorgt aus. „Treten Sie näher. Wir haben telefoniert. Mein Name ist Regina Graf“, stellte sie sich vor.
Der weitläufige Flur mit hellem Parkettfußboden, glitzernden Stahlschränken und weiß gestrichenen Wänden machte einen abweisenden Eindruck. Die farbenfrohen Bilder moderner Künstler konnten die kalte Atmosphäre nicht übertünchen.
Im Besprechungsraum erwartete sie eine Überraschung. Der Mann, der sich bei ihrem Eintreten erhob und ihr seine ausgestreckte Hand entgegenhielt, war kein Unbekannter. Vor ihr stand Peter Hansen, ehemals Vorstandsvorsitzender der Tawes AG. Seit ihrer Begegnung vor einem Jahr hatte er mächtig zugenommen. Sein grau gestreiftes Sakko war mindestens eine Nummer zu klein. Es grenzte an ein Wunder, dass er sich darin überhaupt bewegen konnte.
Beim Anblick ihres überraschten Gesichtsausdruckes sah er sich zu einer Erklärung genötigt. „Ich bin jetzt stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Baumgart Holding AG. Nach dem Gesellschafterwechsel bei der Tawes war dort kein Platz mehr für mich. Die Russen hatten eigene Vorstellungen.“
Verena erkundigte sich nach dem ehemaligen Betriebsvorsitzenden Ralf Hübner. Der engagierte Kämpfer für die Belange der Arbeitnehmer war ihr noch gut in Erinnerung, auch dass er am Ende einen Herzinfarkt erlitten hatte.
„Ralf Hübner? Oh, dem geht es blendend. Nach seinem Ausscheiden aus der Firma erkundet er die Welt. Ich bekomme gelegentlich Ansichtskarten von ihm. Die letzte kam aus Vancouver.“
„Das freut mich“, sagte Verena. Vielleicht wäre das die Lösung, Jürgen und sie auf Weltreise. Finanziell konnte Jürgen es sich leisten. Seine Eltern, alteingesessene Hamburger Kaufleute, hatten ihm ein Millionenvermögen hinterlassen.
Hansen deutete mit einer einladenden Geste auf einen der weißen Ledersessel. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir uns unter solch unerfreulichen Umständen wiedersehen. Der Mord an Uwe Stein ist mir ziemlich an die Nieren gegangen. Wie Sie wissen, kannte ich den Spitzenkandidaten persönlich.“
Nicht nur Ihnen, dachte Verena,
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