Die Kanzlerkandidatin - Kriminalroman
entführt und nicht erst Wächter ermordet. „Schauen Sie bitte noch einmal die Mails Ihres Chefs aus den letzten Tagen durch“, bat sie Frau Graf. „Vielleicht findet sich doch ein Drohschreiben darunter.“
Nachdem Hansen mit einem unmerklichen Nicken sein Okay gegeben hatte, versprach die Sekretärin, Verenas Bitte nachzukommen.
Nach einem Blick auf ihre Uhr erhob sich Verena. „Was die Suche nach Herrn Baumgart betrifft, werde ich sehen, was ich tun kann. Meine Möglichkeiten in Berlin sind allerdings begrenzt. Die Polizeihoheit liegt bei den Ländern, und wie man in der Allgemeinen Niedersachsenzeitung lesen konnte, gleicht das Verhältnis zwischen dem Berliner Innensenator und dem niedersächsischen Innenminister einem Minenfeld.“
Hansen reagierte mit einer abfälligen Bemerkung über die föderalen Strukturen, die alles unnötig verkomplizierten. Frau Graf begleitete Verena zum Ausgang. Als sie in der Tür standen, sagte sie im Flüsterton: „Da ist noch etwas, Frau Hauser. Ich wollte es Ihnen vor Herrn Hansen nicht sagen. Es geht um eine sensible Privatangelegenheit. Herr Baumgart würde nicht wollen, dass Herr Hansen davon erfährt. Aber jetzt, wo er verschwunden ist …“
„Wenn Sie Ihren Chef gesund wiedersehen wollen, sollten Sie mir nichts verheimlichen“, ermunterte sie Verena.
Die Sekretärin rückte noch näher an sie heran und flüsterte für Verena kaum verständlich: „Herr Baumgart und Frau Wächter hatten ein … Nun, Sie wissen schon.“
Damit hatte Verena nun wirklich nicht gerechnet. „Ein Verhältnis?“
Frau Graf nickte. „Ja, seit einigen Wochen. Ich habe das auch nur zufällig mitbekommen, da ich mehrfach Blumen an Frau Wächter schicken lassen musste. Zunächst habe ich mir dabei nichts gedacht, weil mein Chef häufiger Blumengrüße in Auftrag gibt, zum Beispiel an seine Ärztin und an Ehefrauen wichtiger Politiker. Aber dieses Mal …“ Sie zögerte, bevor sie nachdenklich fortfuhr: „Vor drei Wochen wollte er zu einer Messe nach Mailand. Ich habe für ihn wie immer eine Einbettzimmer-Suite bestellt. Aber er bestand plötzlich auf einem Doppelzimmer. Ich dachte zuerst an seine Frau, auch wenn sie ihn sonst nie begleitet. Immerhin musste ich für den Flug zwei Erste-Klasse-Tickets kaufen.“
Verena wurde ungeduldig. In zwanzig Minuten musste sie im LKA sein. „Und dabei haben Sie herausgefunden, dass Frau Wächter ihn begleitet hat?“
„Richtig, ich musste bei der Buchung die Namen angeben. Herr Baumgart hat sich auch in diesen Dingen ganz auf meine Verschwiegenheit verlassen. Er hatte auch schon früher gelegentlich Affären. Meistens dauerten sie nicht lange und endeten damit, dass ich den Damen einen Gutschein für ein Schmuckstück ihrer Wahl und ein Blumengebinde zukommen lassen musste. Solche Details hat Herr Baumgart immer mir überlassen. Sie glauben ja nicht, was man in einer Position wie der meinen alles erlebt.“
„Das glaube ich Ihnen gerne, Frau Graf.“
Die Sekretärin war aber noch nicht am Ende. „Frau Wächter hat mich heute Vormittag angerufen. Sie macht sich Sorgen, weil Herr Baumgart sich seit zwei Tagen nicht gemeldet hat.“
Sollte am Ende eine simple Beziehungstat der Grund für den Mord sein? Wenn die Medien von dem Verhältnis Wind bekämen, würden sie sich mit Wonne darauf stürzen. Und Hetzel würde den Polizeiapparat aufmischen und überall erzählen, dass er es ja schon immer gewusst und auch gesagt habe. „Aber leider wollte die verstockte Ermittlungsleiterin nicht auf mich hören“, würde er jedem ungefragt auf die Nase binden. Verena beschloss, die vertrauliche Mitteilung vorerst für sich zu behalten.
Frau Graf lag noch eine Bitte auf dem Herzen. „Aber sagen Sie auf keinen Fall, dass Sie die Information von mir haben. Herr Baumgart würde mir das niemals verzeihen. Nur jetzt, wo er verschwunden ist, dachte ich …“
„Sie haben goldrichtig gehandelt“, beruhigte Verena die verstörte Frau.
Auf der Rückfahrt ins Präsidium erwog sie Für und Wider einer Beziehungstat. Am Ende war sie sicher, dass das Verschwinden Baumgarts andere Gründe haben müsste. In diesen Kreisen kämpfte man nicht mit dem Messer um eine Frau.
15
H ANNOVER , L ANDTAG
Eigentlich hatte Wagner sich vorgenommen, nach Bad Pyrmont zu fahren, um der Klinik, die Wächter vor seinem Tod in Unruhe versetzt hatte, einen Besuch abzustatten.
Die Fraktionsvorsitzende vereitelte sein Vorhaben. Sie bestand darauf, dass er Wächters Platz im
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