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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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beglückt sein müßte, einen solchen Sohn zu beherbergen, besuchte mich zwei Tage später und begann folgendermaßen: »Wenn einer etwas kann in dieser Welt, wird er etwas. Ich habe das meinem Sohn Ephraim immer gesagt. Es ist auch so gekommen. Es ist mein einziger Sohn. Er spielt großartig Geige. Sie müssen ihn einmal bitten, daß er Ihnen etwas vorspielt. Und er ist stolz. Wer weiß, ob er es wirklich tut!« – Es war so, als hätte ich dem Fiaker Manes dafür zu danken, daß es mir vergönnt gewesen war, seinem Sohn einen Platz im Konservatorium zu verschaffen. »Ich habe gar nichts mehr hier in Wien zu suchen«, fuhr er fort, »ich werde morgen nach Hause fahren.«
    »Sie müssen«, sagte ich ihm, »noch dem Grafen Chojnicki einen Besuch machen, um sich bei ihm zu bedanken.«
    »Ein feiner Herr Graf!« sagte Manes, mit Anerkennung. »Ich werde ihm adieu sagen. Hat er meinen Ephraim schon spielen gehört?«
    »Nein!« sagte ich, »Sie sollten ihn darum bitten!«
    Der Zug des Fiakers Manes Reisiger ging um elf Uhr abends, gegen acht Uhr kam er zu mir und bat mich, das heißt: er befahl mir beinahe, ihn in das Hotel des Grafen Chojnicki zu führen.
    Gut, ich führte ihn hin. Chojnicki war dankbar und fast entzückt. Ja, er war sogar gerührt. »Wie großartig«, riet er, »daß er zu mir kommt, um mir zu danken. Ich habe Ihnen gleich gesagt: So sind unsere Juden!«
    Schließlich dankte er dem Fiaker Manes dafür, daß dieser ihm Gelegenheit gegeben hatte, ein Genie der Welt erhalten zu haben. Es hörte sich an, als ob Chojnicki seit zehn oder seit zwanzig Jahren auf nichts anderes gewartet hätte als auf den Sohn des Manes Reisiger und als sei ihm nunmehr ein längst gehegter und sorgsam gepflegter Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Er bot sogar Manes Reisiger aus lauter Dankbarkeit Geld für die Rückreise an. Der Fiaker Manes lehnte ab, aber er lud uns beide ein, zu ihm zu kommen. Er hätte ein Haus, sagte er, drei Zimmer, eine Küche, einen Stall für sein Pferd und einen Garten, wo sein Wagen und sein Schlitten stünden. Oh, er sei gar kein armer Fiaker. Er verdiente sogar fünfzig Kronen im Monat. Und wenn wir zu ihm kommen wollten, würde es uns großartig ergehen. Er würde schon dafür sorgen, daß wir nichts zu entbehren hätten.
    Er vergaß auch nicht, Chojnicki und mich daran zu erinnern, daß wir geradezu die Pflicht hätten, uns um seinen Sohn Ephraim zu kümmern. »So ein Genie muß man pflegen!« sagte er beim Abschied.
    Chojnicki versprach es; und auch, daß wir im nächsten Sommer bestimmt nach Zlotogrod kommen würden.

VII
    Hier an dieser Stelle muß ich von einer wichtigen Angelegenheit sprechen, von der ich, als ich dieses Buch zu schreiben anfing, gehofft hatte, ich könnte sie umgehen. Es handelt sich nämlich um nichts anderes als die Religion.
    Ich war ungläubig, wie meine Freunde, wie alle meine Freunde. Ich ging niemals zur Messe. Wohl aber pflegte ich meine Mutter bis vor den Eingang zur Kirche zu begleiten, meine Mutter, die zwar vielleicht nicht gläubig war, wohl aber »praktizierend«, wie man sagt. Damals haßte ich die Kirche geradezu. Ich weiß heute, da ich gläubig bin, zwar nicht mehr, warum ich sie haßte. Es war »Mode« sozusagen.
    Ich hätte mich geschämt, wenn ich meinen Freunden hätte sagen müssen, daß ich zur Kirche gegangen sei. Es war keine wirkliche Feindseligkeit gegen die Religion in ihnen, sondern eine Art Hochmut, die Tradition anzuerkennen, in der sie aufgewachsen waren. Zwar wollten sie das Wesentliche ihrer Tradition nicht aufgeben; aber sie – und ich gehörte zu ihnen –, wir rebellierten gegen die Formen der Tradition, denn wir wußten nicht, daß wahre Form mit dem Wesen identisch sei und daß es kindisch war, eines von dem andern zu trennen. Es war kindisch, wie gesagt: aber wir waren damals eben kindisch. Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken, fröhlich und kindisch. Wir fühlten ihn nicht, den Tod. Wir fühlten ihn nicht, weil wir Gott nicht fühlten. Unter uns war Graf Chojnicki der einzige, der noch an den religiösen Formen festhielt, aber auch nicht etwa aus Gläubigkeit, sondern dank dem Gefühl, daß die Noblesse ihn dazu verpflichtete, die Vorschriften der Religion zu befolgen. Er hielt uns andere, die wir sie vernachlässigten, für halbe Anarchisten. »Die römische Kirche«, so pflegte er zu sagen, »ist in dieser morschen Welt noch die einzige Formgeberin, Formerhalterin. Ja, man

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