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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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zufällig. Uns lag nicht einmal viel an der Lust, die uns Lust bescherte.
    Nun aber, da der Krieg uns plötzlich zu den Ergänzungsbezirkskommandos berief, war es nicht der Gedanke an den Tod, den er zuerst in uns erzeugte, sondern der an die Ehre und seine Schwester, die Gefahr. Auch das Ehrgefühl ist ein Betäubungsmittel – und in uns betäubte es die Furcht und alle bösen Ahnungen. Wenn Sterbenskranke ihre Testamente machen und ihre irdischen Angelegenheiten ordnen, so mag sie wohl ein Schauder heimsuchen. Aber wir waren ja jung und gesund an allen Gliedern! Wir empfanden keinen Schauder, keinen wirklichen, es gefiel uns nur, es schmeichelte uns, ihn in den Zurückbleibenden hervorzurufen. Ja, aus Eitelkeit machten wir Testamente; aus Eitelkeit ließen wir uns hurtig trauen, in einer Eile, die eine Überlegung oder gar eine Reue von vornherein ausschaltete. Die Trauung ließ uns noch edler erscheinen, als wir allein schon durch unser Blutopfer waren. Sie machte uns den Tod, den wir zwar fürchteten, aber jedenfalls einer lebenslänglichen Bindung vorzogen, weniger gefährlich und häßlich. Wir schnitten uns gewissermaßen den Rückzug ab. Und jener erste unvergeßliche und stürmische Elan, mit dem wir in die ersten unseligen Schlachten zogen, war sicherlich von der Angst vor einer Rückkehr in ein »häusliches Leben« genährt, vor Möbeln, die gichtig werden, vor Frauen, die den Reiz verlieren, vor Kindern, die lieblich wie Engel zur Welt kommen und sich zu fremden, gehässigen Wesen auswachsen. Nein, dies alles wollten wir nicht. Die Gefahr war sowieso unvermeidlich. Aber um sie uns zu versüßen, ließen wir uns trauen. Und also waren wir gewappnet, ihr entgegenzugehen, wie einer noch unbekannten, aber bereits freundlich winkenden Heimat ...
    Dennoch, und obwohl ich wußte, daß ich genauso fühlte wie meine Kameraden, der Fähnrich in der Reserve Bärenfels, der Leutnant Hartmann, der Oberstleutnant Linck, der Baron Lerch und der Kadettaspirant Dr. Brociner, erschienen sie mir alle, wie ich sie hier aufzähle, verglichen mit meinem Vetter Joseph Branco und mit seinem Freund, dem jüdischen Fiaker Manes Reisiger, oberflächlich, leichtsinnig, unkameradschaftlich, stupide und weder des Todes würdig, dem sie eben entgegengingen, noch der Testamente und Trauungen, die sie zu arrangieren im Begriffe waren. Ich liebte meine Einundzwanziger-Jäger, gewiß! Die alte kaiser- und königliche Armee kannte einen eigenen Patriotismus, einen Regionalpatriotismus, einen Regiments- und Bataillonspatriotismus. Mit dem Zugsführer Marek, mit dem Korporal Türling, mit dem Gefreiten Alois Huber war ich während meiner Dienstzeit und später in den alljährlichen Manövern militärisch aufgewachsen. Und man wächst beim Militär gleichsam noch einmal: Wie man etwa als Kind gehen lernt, so lernt man als Soldat marschieren. Niemals vergißt man die Rekruten, die zu gleicher Stunde mit einem das Marschieren erlernt haben, das Gewehrputzen und die Gewehrgriffe, das Packen des Tornisters und das vorschriftsmäßige Zusammenfalten der Decke, das Mantelrollen und das Stiefelputzen und den Nachtdienst, Dienstreglement Teil zwei, und die Definitionen: Subordination und Disziplin, Dienstreglement erster Teil. Niemals vergißt man dies und die Wasserwiese, auf der man laufen gelernt hat, mit angezogenen Ellbogen, und im Spätherbst die Gelenksübungen, im grauen Nebel, der um die Bäume ging und jede Tanne in eine blaugraue Witwe verwandelte und die Lichtung vor unseren Blicken, auf der bald, nach der Zehn-Uhr-Rast, die Feldübungen beginnen sollten, die idyllischen Vorboten des roten Krieges. Nein, das vergißt man nicht. Die Wasserwiese der Einundzwanziger war meine Heimat.
    Aber meine Kameraden waren so heiter! Wir saßen in dem kleinen Gasthaus, das eigentlich keines gewesen war, von Anfang an, von Geburt sozusagen. Es hatte sich vielmehr im Laufe der langen, undenklich langen Jahre, in denen unsere Kaserne, die Kaserne der Einundzwanziger-Jäger, heimisch und vertraut in dieser Gegend geworden war, aus einem gewöhnlichen Laden, in dem man Passepoils, Sterne, Einjährigenstreifen, Rosetten und Schuhbänder kaufen konnte, zu einem Gasthaus entwickelt. Die sogenannten »Posamentierstücke« lagen noch in den Fächern hinter der Theke. Es roch immer noch in dem Halbdunkel des Ladens weit eher nach den Pappschachteln, in denen die Sterne lagerten, die aus weißem Kautschuk, die aus goldener Seide, und die Rosetten für

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