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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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durch jene Tür, auf der »Eintritt verboten« stand – ich, ein kümmerlicher, schmächtiger Fähnrich der Jäger. »Servus!« sagte Stellmacher, über Papieren gebeugt sitzend, bevor er mich noch erblickt hatte. Er wußte wohl, wie vertraulich man die Leute zu begrüßen hatte, die durch verbotene Eingänge hereingekommen waren. Ich sah seine harten grauen Borstenhaare, die gelbliche, tausendfach zerknitterte Stirn, die winzigen, tiefliegenden Augen, die keine Lider zu haben schienen, die hageren, knochigen Wangen und den großen, herabhängenden, schwarzgefärbten, fast sarazenischen Schnurrbart, in dem Stellmacher seine ganze Eitelkeit angesiedelt zu haben schien, damit sie ihn gleichsam nicht mehr sonst (weder im Leben noch im Beruf) noch störe. Das letztemal hatte ich ihn in der Konditorei Dehmel gesehen, am Nachmittag um fünf Uhr, mit dem Hofrat Sorgsam vom Ballhausplatz. Wir hatten noch nicht die geringste Ahnung vom Krieg, der Mai, der städtische Wiener Mai, schwamm in den kleinen, silbergeränderten »Schalen Gold«, schwebte über dem Gedeck, den schmalen, schwellend gefüllten Schokoladestangen, den rosa und grünen Cremeschnittchen, die an seltsame, eßbare Kleinodien erinnerten, und der Hofrat Sorgsam sagte, mitten in den Mai hinein: »Es gibt kan Krieg, meine Herren!« – Zerstreut sah jetzt der Oberstleutnant Stellmacher von seinen Papieren auf; er sah nicht einmal mein Gesicht, bemerkte nur Uniform, Portepee, Säbel, genug, um noch einmal »Servus!« zu sagen und gleich darauf: »Setz dich, ein Moment!« Schließlich sah er mich genau an: »Fesch bist du!« und »Hätt' dich nicht erkannt! In Zivil schaust halt etwas knieweich aus!« – Aber es war nicht die sonore, tiefe Stimme Stellmachers, die ich seit Jahren kannte – und auch sein Witz war gezwungen. Noch niemals vorher war ein leichtfertiges Wort aus Stellmachers Mund gekommen. Im glänzenden Gestrüpp des schwarzgefärbten Schnurrbarts hätte es sich sonst verfangen, um dort lautlos unterzugehen.
    Ich trug schnell meine Angelegenheit vor. Ich versuchte auch zu erklären, weshalb ich zu den Fünfunddreißigern wollte. »Wenn du sie nur noch findest!« sagte Stellmacher. »Schlimme Nachrichten! Zwei Regimenter fast aufgerieben, Rückzug katastrophal. Unsere Herren Oberidioten haben uns schon präpariert. Aber gut! Geh hin, schau, daß du sie findest, deine Fünfunddreißiger! Kauf dir zwei Sterndl. Du wirst als Leutnant transferiert. Servus! Abtreten!« Er reichte mir die Hand über den Schreibtisch. Seine hellen, fast liderlosen Augen, von denen man nicht glaubte, daß sie jemals Schlaf, Schlummer, Müdigkeit unterjochen, sahen mich an, fern, fremd, aus einer gläsernen Weite, keineswegs traurig, nein, trauriger als traurig, nämlich hoffnungslos. Er versuchte zu lächeln. Sein großes falsches Gebiß schimmerte doppelt weiß unter seinem sarazenischen Schnurrbart. »Schreib mal eine Ansichtskarte!« sagte er und beugte sich wieder über die Papiere.

XVII
    Die Pfarrer arbeiteten in jenen Tagen ebenso schnell wie die Bäcker, Waffenschmiede, die Eisenbahndirektionen, die Kappenmacher und die Uniformschneider. Wir sollten in der Döblinger Kirche heiraten, der Mann lebte noch, der meine Braut dort getauft hatte, und mein Schwiegervater war sentimental, wie die meisten Heereslieferanten. Mein Geschenk war eigentlich das Geschenk meiner Mutter. Ich hatte gar nicht daran gedacht, daß Brautgeschenke unumgänglich notwendig seien. Als ich zum Essen kam, die Knödel hatte ich auch bereits vergessen, saß meine Mutter schon am Tisch. Wie gewohnt, küßte ich ihre Hand, küßte sie meine Stirn. Dem Diener trug ich auf, mir dunkelgrüne Aufschläge und Leutnantssterne bei Urban in den Tuchlauben zu verschaffen. »Du wirst versetzt?« fragte meine Mutter. »Ja, Mama, zu den Fünfunddreißigern!« – »Wo stehen die?« – »In Ostgalizien.« – »Fährst du morgen?« – »Übermorgen!« – »Morgen ist die Trauung?« – »Ja, Mama!«
    Es war Sitte in unserem Hause, während des Essens die Speisen zu loben, auch wenn sie mißraten waren, und von nichts anderem zu sprechen. Auch durfte das Lob keineswegs etwa banal sein, eher schon kühn und weit hergeholt. So sagte ich zum Beispiel, das Fleisch erinnere mich an ein ganz bestimmtes, das ich vor sechs oder acht Jahren, ebenfalls an einem Dienstag, gegessen hätte, und das Dillenkraut sei geradezu, heute wie damals, mit dem Beinfleisch vermählt. Völlige Sprachlosigkeit spielte ich vor den

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