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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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einem für ihn heiter verlaufenen Besuch im Kriegsministerium zurückgekehrt. Er hatte den Auftrag auf eine halbe Million Soldatenkappen bekommen. Auf diese Weise, so sagte er mir, könne er, der alternde, hilflose Mann, immerhin noch dem Vaterlande dienen. Dabei strählte er mit beiden Händen immerzu seinen graublonden Backenbart, es war, als wollte er gleichsam die beiden Hälften der Monarchie liebkosen, die zis- wie die transleithanische. Er war groß, kräftig und schwerfällig. Er erinnerte mich an eine Art sonnigen Lastträger, der die Bürde auf sich genommen hatte, eine halbe Million Kappen herzustellen, und den diese Bürde weit eher zu erleichtern ls zu belasten schien. »Sie rücken also natürlich ein!« sagte er mit einer geradezu belustigten Stimme. »Ich glaube annehmen zu können, daß meine Tochter Sie vermissen wird.«
    In diesem Augenblick fühlte ich, daß es mir unmöglich sein würde, bei ihm um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Und mit jener Überstürzung, mit der man versucht, das Unmögliche dennoch möglich zu machen, und mit jener Hast, zu der mich der immer näher heranrückende Tod zwang, die ganze Intensität meines elenden Lebensrestes auszukosten, sagte ich dem Hutmacher, unartig und ungeduldig: »Ich muß sofort Ihr Fräulein Tochter sehen.«
    »Junger Freund«, erwiderte er, »ich weiß, Sie wollen um ihre Hand anhalten. Ich weiß, daß Elisabeth nicht nein sagen wird. Also nehmen Sie vorläufig die meine, und betrachten Sie sich als meinen Sohn!«
    Damit streckte er mir seine große, weiche und viel zu weiße Hand entgegen. Ich nahm sie und hatte die Empfindung, eine Art von trostlosem Teig anzurühren. Es war eine Hand ohne Druck und ohne Wärme. Sie strafte sein Wort vom »Sohn« Lügen, sie widerrief es sogar.
    Elisabeth kam, und der Hutmacher ersparte mir alle Worte: »Herr Trotta geht in den Krieg«, sagte mein Schwiegervater – so, als hatte er sagen wollen: Er fährt zur Erholung an die Riviera –, »und er möchte dich vorher heiraten.« Er sprach in dem gleichen Tonfall, in dem er eine Stunde vorher im Kriegsministerium mit dem Uniformreferenten über die Kappen gesprochen haben mochte. Aber Elisabeth war da. Ihr Lächeln war da, es schimmerte gleichsam vor ihr daher, mir entgegen, ein Licht, aus ihr geboren und anscheinend ein ewiges, sich selbst immer wieder erneuerndes, ein silbernes Glück, das zu klingeln schien, obwohl es lautlos war.
    Wir umarmten uns. Wir küßten uns zum erstenmal, heiß, schamlos fast, trotz der Aufmerksamkeit des Vaters, ja vielleicht sogar noch mit dem wonnig-frevlerischen Bewußtsein, einen Zeugen unserer Verschwiegenheit daneben zu wissen. Ich gab mich preis. Ich hatte keine Zeit. Der Tod stand schon hinter meinem Rücken. Ich war schon sein Kind, mehr noch als der Sohn des Hutmachers. Ich mußte zu meinen Einundzwanzigern in die Landstraßer Hauptstraße. Ich eilte hinaus, unmittelbar aus der Umarmung zum Militär; aus der Liebe zum Untergang. Beides genoß ich mit der gleichen Stärke des Herzens. Ich rief einen Fiaker und rollte in die Kaserne.
    Ich traf ein paar Freunde und Kameraden dort. Einige von ihnen kamen, wie ich, direkt aus der Umarmung.

XV
    Direkt aus den Umarmungen kamen sie, und es war ihnen so, als hätten sie die wichtigsten Kriegspflichten bereits erfüllt. Die Trauungen waren festgesetzt. Jeder von ihnen hatte irgendein Mädchen zu heiraten, selbst wenn es nicht eine standesgemäße Braut war, sondern eine zufällige, wie sie unsereinem in jenen Zeiten aus unbekannten Gegenden, aus unerforschlichen Gründen häufig zugeflogen kamen, Nachtfaltern ähnlich, durch offene Fenster in sommerlichen Nächten auf Tisch und Bett und Kaminsims flatternd, flüchtig, leichtfertig, hingebungsvoll, samtene Geschenke einer großzügigen, kurzen Nacht. Jeder von uns hätte sich gewiß, wenn nur der Friede weiterbestanden hätte, gegen eine gesetzliche Bindung an eine Frau gesträubt. Nur Thronfolger mußten damals rechtmäßig heiraten. Unsere Väter waren mit dreißig Jahren bereits recht würdevolle, oft kinderreiche Familien- und Hausbeherrscher gewesen. In uns aber, dem seit Geburt krieggeweihten Geschlecht, war der Fortpflanzungstrieb sichtbar erloschen. Wir hatten keinerlei Lust, uns fortzusetzen. Der Tod kreuzte seine knöchernen Hände nicht nur über den Bechern, aus denen wir tranken, sondern auch über den nächtlichen Betten, in denen wir mit Frauen schliefen. Und deshalb eben waren unsere Frauen damals auch so

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