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Die Kapuzinergruft

Die Kapuzinergruft

Titel: Die Kapuzinergruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Roth
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Militärbeamte und die Portepees, die wie gebündelte goldene Rieselregen aussahen, als nach Apfelmost, Schnaps und älterem Gumpoldskirchner. Vor dem Ladentisch waren drei, vier kleine Tischchen aufgestellt. Sie stammten noch aus unserer Jugendzeit, aus unserer Einjährigenzeit. Damals hatten wir die Tischchen angekauft, und die Konzession, Alkohol auszuschenken, hatte der Inhaber des Ladens, der Posamentierer Zinker, lediglich dank der Fürsprache unseres Bataillonskommandanten, des Majors Pauli, bekommen. Zivilisten durften allerdings beim Posamentierer nicht trinken! Die Konzession bezog sich lediglich auf Militärpersonen.
    Wir saßen nun wieder zusammen im Posamentiererladen wie einst in Einjährigenzeiten. Und gerade die Unbekümmertheit meiner Kameraden, mit der sie heute dem bevorstehenden Sieg ebenso zujubelten, wie sie vor Jahren der nahenden Offiziersprüfung entgegengetrunken hatten, beleidigte mich tief. Damals mochte in mir die prophetische Ahnung sehr stark gewesen sein, die Ahnung, daß diese meine Kameraden wohl imstande seien, eine Offiziersprüfung zu bestehen, keineswegs aber einen Krieg. Zu sehr verwöhnt aufgewachsen waren sie in dem von den Kronländern der Monarchie unaufhörlich gespeisten Wien, harmlose, beinahe lächerlich harmlose Kinder der verzärtelten, viel zu oft besungenen Haupt- und Residenzstadt, die, einer glänzenden, verführerischen Spinne ähnlich, in der Mitte des gewaltigen schwarz-gelben Netzes saß und unaufhörlich Kraft und Saft und Glanz von den umliegenden Kronländern bezog. Von den Steuern, die mein armer Vetter, der Maronibrater Joseph Branco Trotta aus Sipolje, von den Steuern, die mein elendiglich lebender jüdischer Fiaker Manes Reisiger aus Zlotogrod bezahlte, lebten die stolzen Häuser am Ring, die der baronisierten jüdischen Familie Todesco gehörten, und die öffentlichen Gebäude, das Parlament, der Justizpalast, die Universität, die Bodenkreditanstalt, das Burgtheater, die Hofoper und sogar noch die Polizeidirektion. Die bunte Heiterkeit der Reichs-, Haupt- und Residenzstadt nährte sich ganz deutlich – mein Vater hatte es so oft gesagt – von der tragischen Liebe der Kronländer zu Österreich: der tragischen, weil ewig unerwiderten. Die Zigeuner der Pußta, die subkarpatischen Huzulen, die jüdischen Fiaker von Galizien, meine eigenen Verwandten, die slowenischen Maronibrater von Sipolje, die schwäbischen Tabakpflanzer aus der Bacska, die Pferdezüchter der Steppe, die osmanischen Sibersna, jene von Bosnien und Herzegowina, die Pferdehändler aus der Hanakei in Mähren, die Weber aus dem Erzgebirge, die Müller und Korallenhändler aus Podolien: sie alle waren die großmütigen Nährer Österreichs; je ärmer, desto großmütiger. So viel Weh, so viel Schmerz, freiwillig dargeboten, als wäre es selbstverständlich, hatten dazu gehört, damit das Zentrum der Monarchie in der Welt gelte als die Heimat der Grazie, des Frohsinns und der Genialität. Unsere Gnade wuchs und blühte, aber ihr Feld war gedüngt von Leid und von der Trauer.
    Ich dachte, während wir so beim Posamentierer saßen, an Manes Reisiger und an Joseph Branco. Diese beiden: sie wollten gewiß nicht so graziös in den Tod, in einen graziösen Tod gehen wie meine Bataillonskameraden. Und ich auch nicht; ich auch nicht! Wahrscheinlich war ich in jener Stunde der einzige, der die finstere Wucht des Kommenden fühlte, zum Unterschied und also im Gegensatz zu meinen Kameraden. Deshalb also stand ich plötzlich auf und sagte zu meiner eigenen Überraschung folgendes:
    »Meine Kameraden! Ich habe euch alle sehr lieb, so, wie es sein soll, immer unter Kameraden, insbesondere aber eine Stunde vor dem Tode.« – Hier konnte ich nicht mehr weiter. Das Herz stockte, die Zunge versagte. Ich erinnerte mich an meinen Vater – und Gott verzeih' mir die Sünde! – : ich log. Ich log meinem toten Vater etwas an, was er niemals wirklich gesagt hatte, was er aber wirklich gesagt haben konnte. Ich fuhr also fort: »Es war einer der letzten Wünsche meines Vaters, daß ich im Falle eines Krieges, den er wohl in allernächster Zeit vorausgesehen hatte, nicht mit euch zu unseren teueren Einundzwanzigern einrücke, sondern in ein Regiment, wo mein Vetter Joseph Branco dient.«
    Sie schwiegen alle. Niemals in meinem Leben hatte ich solch ein Schweigen vernommen. Es war, als hätte ich ihnen ihre leichtfertige Freude am Kriege geraubt; ein Spielverderber: ein Kriegsspielverderber.
    Deutlich empfand ich,

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