Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Flaggen der Stadtviertel Sienas geschmückt. Ich ritt über die alte Römerstraße Via Cassia, als gelte es, den Palio zu gewinnen. Meine Begleiter und ich erreichten ohne Rast Orvieto und Viterbo, und erst lange nach Sonnenuntergang Bracciano, wo ich in der Festung der Orsini übernachtete. Rinaldo Orsini, der Erzbischof von Florenz, war an diesem Abend vor den Unruhen in Rom nach Bracciano geflohen, während sich sein Cousin, Kardinal Gian Battista Orsini, in Rom auf die Papstwahl vorbereitete.
Gian Giordano versuchte mir während des Abendessens auszureden nach Rom zu reiten, aber als er feststellte, dass ich entschlossen war, das Konklave von der Piazza San Pietro aus zu verfolgen, bot er mir schließlich an, mich mit einer bewaffneten Eskorte zu begleiten.
Die Sonne stand im Zenit, als wir am nächsten Tag durch die Porta Flaminia nach Rom hineinritten. Hinter dem Augustinerkonvent Santa Maria del Popolo an der Aurelianischen Mauer überquerten wir einen weiten Platz, dessen geborstene Pflastersteine aus antiken Ruinen zu stammen schienen. Wir kämpften uns durch das Gewühl vor den Tischen der Geldwechsler, die in allen Sprachen dieser Welt ihr Angebot, Zechinen und Fiorini in Dukaten zu wechseln, hinausbrüllten. Wegen des bevorstehenden Konklaves waren viele Pilger nach Rom gekommen, aber auch Gesandtschaften aus Mailand, Venedig, Urbino und Neapel.
Das Echo der Gebete aus dem Konvent, das laute Feilschen an den Ständen der Händler, die Reliquien und Würste, Ablassbriefe und Wein zum Kauf anboten, das lockende Gemurmel der Huren und die toskanischen Flüche meiner Leibwächter klangen wie das Sprachgewirr von Babylon, mit dem Gott die Menschen strafte, als sie ihren Turm zu hoch in den Himmel bauen wollten. In Rom bestand diese Gefahr nicht, denn Rom hatte mit Babylon nichts gemein als den Ruf der Gottlosigkeit.
In der Caput mundi, der Hauptstadt der Christenheit, erinnerte nichts mehr an die einstige Größe als Machtzentrum des Imperium Romanum. Die Tempel und Kaiserpaläste waren zerstört, das Colosseum wurde als Steinbruch genutzt, das Forum Romanum war eine Weide für Kühe, auf dem Kapitol grasten Ziegen, die berühmten Gärten des Maecenas waren ein von Dornengestrüpp überwucherter Weinberg. Sic transit gloria mundi!
Meine Begleiter und ich ritten an der Tiberschleife entlang nach Süden, zum Florentinischen Viertel. Giannis großartiger Kardinalspalast stand nur wenige Schritte vom antiken Pantheon entfernt, das jetzt eine Kirche war: Santa Maria ad Martyres. Gian Giordano verabschiedete sich von mir, um zum Palazzo Orsini zu reiten, und ich lud ihn und Kardinal Gian Battista zum Abendessen ein. Dann stürmte ich die Treppe hinauf.
» Was soll ich tun?«, fragte Gianni wenige Minuten später.
Das Buch, das er in die Reisetruhe legen wollte, hielt er noch in der Hand, als mein Bruder sich zu mir umdrehte. Gianni packte für die Tage, die er im Konklave verbringen würde. Aus Sicherheitsgründen sollte es zum ersten Mal nicht im Lateranspalast, sondern in der Sixtina stattfinden. Die befestigte Kapelle war während der Unruhen neben der Engelsburg der sicherste Ort in Rom.
»Ich will mit Kardinal Giuliano della Rovere sprechen, Gianni. Ich bitte dich, ein geheimes Treffen zu arrangieren«, wiederholte ich.
»Aber wozu?«, fragte nun auch Giulio in einem Tonfall, als zweifele er an meinem Verstand.
»Weil Kardinal della Rovere mit dem Herzog Guido von Urbino verschwägert ist. Herzog Guido ist als Condottiere von Florenz ein verlässlicher Bündnispartner. Nicht einmal Seine Selbstherrlichkeit Piero hat es bisher geschafft, den Herzog zu verärgern. Nach Lorenzos Tod stehen wir vor einem politischen und finanziellen Abgrund, den wir nicht allein überwinden können. Wir können die helfende Hand, die uns sicher auf die andere Seite dieses Abgrunds bringen kann, nicht einmal bezahlen! Ich werde mit Giuliano della Rovere sprechen, weil er nach Rodrigo Borgia der mächtigste Mann im Vatikan ist, weil er nach Rodrigo Borgia der reichste Kardinal in Rom ist und damit unbestechlich.«
»Wenn er unbestechlich ist, Caterina …«, begann Gianni verwirrt, »… wie willst du …«
»Ich will ihm kein Geld anbieten, Gianni, sondern Macht.«
Am nächsten Morgen, dem Tag vor der Papstwahl, empfing mich Giuliano della Rovere, Kardinal von San Pietro in Vincoli, Erzbischof von Avignon, Bischof von Carpentras, Lausanne und einem halben Dutzend weiterer Bistümer, in seinem Palazzo.
Mich
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