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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Triumphzug war noch größer als der seines Sohnes Gianni genau einen Monat zuvor. Tausende gaben ihm das letzte Geleit und drängten sich in die Kirche San Lorenzo, um ihn ein letztes Mal zu sehen und Giovanni Picos Leichenrede zu hören, die an eine Heiligsprechung seines Freundes gemahnte.
    Die Exequien waren sehr einfach, wie es der Magnifico gewünscht hatte, die Zeremonien schlicht, die Predigt Fra Marianos gnädig kurz. Es war kein Staatsbegräbnis, denn Lorenzo hatte nie einen offiziellen Titel innegehabt. Es war mehr als das! Es war eine beeindruckende Demonstration von Liebe, Respekt und ehrlicher Trauer einer ganzen Stadt.
    Als Lorenzos Sarg in die Sakristei gebracht werden sollte, trat Savonarola aus der Menge der Trauernden. Piero zuckte wie vor Schmerz zusammen, doch ich hielt ihn am Arm fest, bevor er sich auf den verhassten Prior stürzen konnte.
    Fra Girolamo fiel vor dem Sarg auf die Knie, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Ich trat zu ihm, um ihm aus seiner demütigen Haltung aufzuhelfen, aber er wehrte mich ab. Er wollte nicht, dass irgendjemand seine Tränen sah. Und so kniete ich mit gesenktem Kopf neben ihm, bis er sich beruhigt hatte.
    »Ich danke Euch in seinem Namen«, flüsterte ich, als wir uns erhoben, der Sarg angehoben und weggetragen wurde.
    Fra Girolamo sah mich lange an, dann nickte er, drehte sich mit einem traurigen Lächeln um und verließ die Kirche.

    In dieser Nacht schrieb ich einen Brief nach Rom, um Gianni, Giuliano und Giulio vom Tod unseres Vaters und Onkels in Kenntnis zu setzen. Drei Mal begann ich diesen Brief, drei Mal zerriss ich ihn wieder. Was sollte ich schreiben? Wie er gestorben war? Welches seine letzten Worte waren? Nein, ich würde meinen Vater nicht kompromittieren, indem ich der Welt verkündete, wer ich wirklich war! Wozu denn? Ich würde das Geheimnis in meinem Herzen bewahren – Lorenzos letzte Zeilen an mich versteckte ich in meinem Notizbuch.
    Mein Brief nach Rom war denkbar kurz:
    »Lorenzo ist tot! Gott sei seiner Seele gnädig!«
    Das waren die ersten Worte der furchtbaren Tragödie, die nun folgen sollte. Ich hätte schreiben sollen: »Gott sei uns allen gnädig!«

    Ein paar Tage nach dem Begräbnis trafen die ersten Kondolenzschreiben im Palazzo Medici ein. Der König von Neapel, Ferrante von Aragón, schrieb: »Lorenzo de’ Medici hat lange genug gelebt für seinen eigenen Ruhm, aber nicht für den Frieden in Italien. Gebe Gott, dass, nun da er tot ist, nicht andere zu tun versuchen, was sie nicht wagten, solange er lebte.«
    Einer jener anderen schrieb mir aus Pisa: Cesare.
    Er wollte mich treffen. In Florenz, in Pisa, in Rom oder wo auch immer ich wollte. Ich ließ seinen Brief unbeantwortet.

    Ich begann zu leben. Ich meine, jede Stunde, jede Minute bewusst zu leben, mit kristallklarem Verstand und einem unbeugsamen Willen. Ich begann zu leben wie Lorenzo, dem die Zeit unaufhaltsam durch die Finger geronnen war – schneller, intensiver, kompromissloser.
    Ich lernte zu sterben, als ich zu leben lernte. Deshalb, und nur deshalb, gelang es mir, das Ziel zu erreichen, ohne es jemals aus den Augen zu verlieren – ganz gleich wie lang der Weg war, ganz gleich wie viel Angst ich hatte.
    Ich lernte zu handeln, zu kämpfen, zu siegen und zu verlieren, mit allen Konsequenzen: Ich übernahm Verantwortung und lud Schuld auf mich.
    Ich lernte zu schweigen, aber nicht wortlos zu ertragen.

    Trotz aller Befürchtungen verlief die Machtübernahme meines Bruders in Florenz ohne Schwierigkeiten. Piero musste nicht kämpfen wie Lorenzo, der um die Macht gerungen hatte, als sein Vater gestorben war. Piero musste sich nicht einmal entscheiden, ob er Florenz regieren wollte oder nicht.
    Warum hat Lorenzo mir mit seinem letzten Atemzug das Geschenk des freien Willens gemacht und Piero eine eigene Entscheidung verweigert?, fragte ich mich verbittert. Was wäre uns alles erspart geblieben, wenn Gianni Florenz mit Vernunft und Selbstbeherrschung regiert hätte!
    Wenige Tage nach Lorenzos Tod verabschiedete die Signoria ein Gesetz, das es dem zwanzigjährigen Medici erlaubte, seinem Vater nachzufolgen. Piero wurde Mitglied im Rat der Siebzig, obwohl er nicht gewählt worden war und das Mindestalter für die Kandidatur noch nicht erreicht hatte.
    Piero musste nicht kämpfen, kein Machtwort sprechen, sich mit keinem der Signori ein Wortgefecht liefern, das ihn durch eine Niederlage Zurückhaltung und Demut gelehrt oder zumindest seine furchtbare Arroganz aus

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