Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
ihm herausgeprügelt hätte. Niemand widersprach ihm, als er der Regierung von Florenz seine neue Bündnispolitik erläuterte. Und er widersprach nicht seinen politischen Beratern, die schon Lorenzo zur Seite gestanden hatten. Er schlug ihnen im Sinn des Wortes die Tür vor der Nase zu und empfing sie nicht mehr in der Via Larga. Piero de’ Medici traf seine Entscheidungen allein, wie ein souveräner Herrscher.
Vier Wochen nach Pieros Machtübernahme trafen Glückwünsche aus ganz Italien ein. König Charles von Frankreich nannte meinen Bruder in seinem eigenhändigen Schreiben cher cousin et ami – lieber Cousin und Freund. Vergeblich hatten Lorenzos Ratgeber Piero vor einem zu engen Bündnis mit Frankreich und Mailand gewarnt. Er warf sie hinaus, ohne sie bis zum bitteren Ende anzuhören.
Sogar unsere Cousins Lorenzino und Giannino de’ Medici wandten sich von ihm ab. Und Michelangelo verließ den Palazzo Medici nach einem erbitterten Streit mit Piero.
Selbst Giovanni kam trotz meiner Bitten nur noch selten aus seiner Villa in Fiesole in den Palazzo – er litt darunter ebenso wie ich. Aber hätten wir uns in unserem Schmerz über Lorenzos Tod gegenseitig trösten können? Nein, wohl nicht, denn unsere heroische Untröstlichkeit schützte uns vor noch unberechenbareren Empfindungen. Wie seiner Liebe zu mir, die er sich selbst nicht eingestehen konnte – ganz zu schweigen von auch nur der leisesten Andeutung seiner verwirrten Gefühle mir gegenüber. Wie meinen gescheiterten Hoffnungen auf eine Liebesbeziehung mit Giovanni, meiner Traurigkeit ihn verloren zu haben, meiner Verzweiflung und meiner grenzenlosen Einsamkeit.
Ende Mai erklärte mir Niccolò Machiavelli, dass sich Florenz in zwei Lager zu spalten begann. Ein kleiner Teil der Florentiner liebte Piero nicht – ein größerer Teil hasste ihn. Verachtung und Hass sind gefährlich, wenn man versucht, eine Republik zu regieren. Aber sie allein reichen nicht aus, um den Sturz eines Herrschers herbeizuführen. Nur ein kräftiger Windstoß aus der falschen Richtung kann ein so großes Segelschiff, wie es die Macht der Medici in Florenz war, in voller Fahrt aufhalten. Amerigo hätte gesagt: Der Wind kam querab aus Nordwesten. Aus Mailand und Frankreich.
Ludovico il Moro Sforza schloss im Mai 1492 ein Bündnis mit Frankreich, um König Charles VIII . bei seinen Erbansprüchen auf das Königreich Neapel zu unterstützen. Zur selben Zeit verhandelte Piero mit König Ferrante über ein Bündnis zwischen Neapel und Florenz. Herzog Alfonso von Kalabrien, der Thronerbe von Neapel, wollte Ludovico Sforza in Mailand stürzen und dessen Neffen wieder auf den Thron setzen: Gian Galeazzo Sforza, den rechtmäßigen Herzog und Gemahl von Isabella von Aragón – Herzog Alfonsos Tochter.
Als Piero über unseren Cousin Lionetto de’ Rossi, den Leiter der Banca Medici in Lyon, hörte, dass am französischen Hof eine Invasion nach Italien geplant wurde, um Neapel zu erobern, hätte er dieser bedrohlichen Entwicklung zuvorkommen können, wenn er mit seinem cousin et ami Charles verhandelt hätte. Aber er tat nichts. Lionetto eilte nach Florenz, um mit Piero zu sprechen, aber der empfing ihn nicht.
Aber ich empfing Lionetto. Und er erklärte mir die komplizierten Verhältnisse am französischen Hof, die Erbansprüche Frankreichs auf Neapel und Mailand, das Verhältnis der französischen Kardinäle zu König Charles.
Gianni ist Erzbischof von Aix-en-Provence!, dachte ich alarmiert. Welche Konsequenzen hat das für das Konklave?
Lionetto kannte die Berater des französischen Königs persönlich und schlug vor, einige von ihnen zu bestechen, damit sie Charles die unsinnige Idee einer Invasion in Italien ausredeten – denn der König würde auf seinem Weg nach Neapel florentinisches Hoheitsgebiet durchqueren! Ich war so entsetzt über die zu erwartenden Plünderungen toskanischer Gebiete durch die französischen Söldner, dass ich Lionetto einfach weiterreden ließ.
Aber dann sagte er etwas, das mich aufhorchen ließ: »Ich könnte die Bestechungsgelder aus meinem privaten Vermögen vorschießen, Caterina. Ich bin sicher, dass wir uns auf einen vernünftigen Kreditzins einigen. Es bleibt ja in der Familie. Sprich mit Piero darüber!«
Ich wartete nicht, bis mein Bruder gnädig geruhte, mich zu empfangen, um am Ende entweder keine Entscheidung zu treffen oder Lionetto zu verärgern, sondern bat Francesco Sassetti, den Generaldirektor der Banca Medici, zu mir. Er kam eine
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