Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Stunde später mit seinem Sekretär, der aus einer Truhe Kontobücher und Dokumente auf dem Tisch aufstapelte.
»Ihr habt mich falsch verstanden, Signor Sassetti«, sagte ich mit einem langen Blick auf das dicke Hauptbuch des Unternehmens. »Ich will die Bücher nicht überprüfen. Ich vertraue Euch. Ich will wissen, ob es wahr ist, was mein Cousin Lionetto mir über die Filiale in Lyon gesagt hat.«
Sassetti nickte. »Es ist wahr, Madonna Caterina. Die Filiale der Banca Medici in Lyon ist zahlungsunfähig.«
»Was ist mit der Niederlassung in Mailand? Könnte der dortige Filialleiter nicht …«
Sassetti schüttelte den Kopf: »Er hat Ludovico Sforza seit Jahren Kredite gegeben, die nie zurückbezahlt wurden. Selbstverständlich hat Il Moro auch nie Zinsen bezahlt.«
Lorenzo hatte sich die Freundschaft Mailands erkauft! Ich traute mich kaum zu fragen, aber ich tat es doch – ich musste die Wahrheit wissen, die ganze, schmerzhafte Wahrheit: »Was ist mit der Filiale in Rom?«
Sassetti hob beide Hände, die leeren Handflächen nach oben.
»Die Banca Medici ist also zahlungsunfähig?«, fragte ich nach.
»Nein, die Geschäfte werden weiter abgewickelt. Aber eben nicht mit unserem Geld«, erklärte mir Sassetti geduldig. »Der Magnifico hat in den letzten zwanzig Jahren für seine aufwändige Hofhaltung und seine Repräsentationspflichten gegenüber ausländischen Herrschern mehr Geld ausgegeben, als er hatte …«
»Mit anderen Worten: Die Banca Medici ist … bankrott?«
Sassetti legte mir das Hauptbuch vor und deutete auf eine Zahl am Ende der letzten Seite: »Diese Summe repräsentiert nicht das immense Vermögen der Medici, sondern die … ähm … Schulden .«
Ein paar Tage nach dieser Hiobsbotschaft, am 25. Juli 1492, verschied – für mich nicht unerwartet – Papst Innozenz VIII .
Er starb nicht friedlich, denn schon an seinem Totenbett stritten Rodrigo Borgia und Giuliano della Rovere derart hitzig um seine Nachfolge, dass der Sterbende beiden Kardinälen zu schweigen gebot. Der Bericht aus Rom las sich wie eine Komödie von Boccaccio:
Kardinal Borgia drängte den Papst, ihm die Schlüssel der Engelsburg auszuhändigen, Kardinal della Rovere nannte Rodrigo Borgia in beleidigendem Tonfall einen »getauften Juden«. Zornig fuhr ihn Kardinal Borgia an: »Wären wir nicht in Gegenwart Seiner Heiligkeit, würde ich Euch zeigen, wer von uns beiden Vizekanzler der Kirche ist!«, worauf Kardinal della Rovere erwiderte: »Wären wir nicht in Gegenwart Seiner Heiligkeit, würde ich Euch zeigen, dass ich keine Angst vor Euch habe!«
Dieses erste Wortgefecht um die Papstkrone gewann weder Rodrigo Borgia noch Giuliano della Rovere. Schon im Konklave nach Papst Sixtus’ Tod im August 1484 waren die beiden Kontrahenten derart aufeinander losgegangen, dass letztlich keiner von ihnen die nötige Stimmenzahl auf sich vereinigen konnte. Schließlich wurde Kardinal Gian Battista Cibò aus Genua zum Pontifex Maximus gewählt, der die Nacht vor seiner Wahl damit verbrachte, ihm vorgelegte geheime Dokumente mit Versprechungen an die Kardinäle ungelesen zu unterzeichnen.
Der Kampf zwischen Rodrigo Borgia und Giuliano della Rovere würde erneut im Konklave ausgetragen werden, das am 6. August 1492 beginnen sollte.
Am nächsten Morgen brach ich nach Rom auf, um zwei Versprechen einzuhalten. Eines, das ich Gianni gegeben hatte, eines, das ich mir selbst gegeben habe.
Piero wollte aus Sicherheitsgründen in Florenz bleiben, bis er von mir Nachricht erhielt, wer der neue Papst war. Erst dann würde er mit einer florentinischen Gesandtschaft nach Rom aufbrechen, um dem neuen Pontifex anlässlich seiner Krönung zu huldigen.
Ich ritt nach Siena, wo ich im Palazzo der Familie Chigi in der Nähe der Piazza del Campo übernachtete. Die Chigi waren Bankiers in Siena und Rom, und die Brüder Sigismondo und Agostino Chigi – beide umschwärmte Junggesellen – galten als die beiden reichsten Männer Italiens. Obwohl ich in Florenz kein offizielles Amt innehatte und auch nur die illegitime Cousine des Regenten Piero de’ Medici war, waren Sigismondo und Agostino Chigi bemüht, mir einen unvergesslichen Abend in ihrem Palazzo zu schenken. Sie vermieden galant jede Andeutung der immensen Schulden, die wir Medici bei der Banca Chigi hatten.
Als ich früh am nächsten Morgen zur Porta Romana im Süden der Stadt aufbrach, wurde der Campo bereits für den bevorstehenden Palio, das berühmteste Pferderennen Italiens, mit den
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