Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
…
Wenn ich geahnt hätte, dass Gott an diesem herrlichen Sommerabend im August zum nächsten Schlag ausholte, um mich in die Knie zu zwingen, wäre ich nicht nach Fiesole geritten. Oder doch? Nur um Gott zu zeigen, dass ich nicht aufgab! Nur um Giovanni, der für mich verloren schien, weil er noch während meiner erbitterten Schlacht mit Gott auf Seine Seite gewechselt war, zurückzugewinnen! Welch grausames Opfer sollte diese Schlacht fordern …
Als ich vor der Villa Pico vom Pferd stieg, stand das Portal offen. Ein paar Diener luden offenbar sehr schwere Truhen von einem Wagen und schleppten sie ins Haus. Hatte Giovanni Gäste? Kam mein Besuch ungelegen? Ich ging hinein, als mir ein junger Mann entgegenstürmte und mich fast umrannte. Mein Fächer fiel zu Boden, und er machte keine Anstalten, ihn aufzuheben. Er starrte mich ungeduldig an, weil ich ihm im Weg stand, murmelte eine Entschuldigung und verschwand nach draußen. Ein Diener schloss mit einem Aufatmen das Portal hinter ihm. Der junge Mann schien mehrere Tage als Gast in der Villa verbracht zu haben.
Giovannis Majordomus trat zu mir und verneigte sich höflich: »Wie schön, Euch wieder in der Villa Pico begrüßen zu dürfen! Es war sehr einsam hier in den letzten Wochen.«
»Das bezweifele ich. Wer war denn dieser Haudegen?« Ich deutete vage in Richtung Hof, wo sich, dem unruhigen Wiehern der Pferde zufolge, der wartende Reisewagen des jungen Mannes in Bewegung setzte.
»Das war Gian Francesco Pico della Mirandola, der Conte von Concordia. Der Conte ist der Neffe von … Signor Giovanni Pico.«
Ich hob die Augenbrauen. »Der Neffe von Signor Pico? Bitte sagt mir: Was ist geschehen?«
Der Majordomus wirkte höchst unglücklich. »Der Conte … Signor Pico hat die Herrschaft über Concordia an seinen – bitte entschuldigt! – arroganten Neffen verkauft.«
»Verkauft?«, platzte ich heraus.
Er nickte und sah sich misstrauisch um, als befürchte er, belauscht zu werden. Von wem?, fragte ich mich: Von Giovanni? »Er hat Concordia für den lächerlichen Preis von zehntausend Fiorini an Gian Francesco Pico verkauft.« Er deutete auf die Truhen, in denen offenbar Goldmünzen waren. »Ludovico il Moro hat ein Mehrfaches dieses Preises geboten, denn das Herrschaftsgebiet der Pico liegt strategisch günstig zwischen Mailand und Venedig. Ich habe den Brief des Regenten selbst gelesen. Aber nein: Der Signore hat an seinen Neffen verkauft. Um frei zu sein.«
»Frei?«, fragte ich verdutzt. »Frei, wofür?«
»Was weiß denn ich!«, fuhr er auf wie eine Windbö. »Er diskutiert seine Entscheidungen nicht mehr mit mir, seit dieser … dieser Mönch hier das Regiment führt.«
»Welcher Mönch?«, fragte ich misstrauisch.
»Fra Girolamo Savonarola. Er hat einen schlechten Einfluss auf den Conte … auf Signor Pico«, verkündete der Majordomus seine Meinung. »Seit der Magnifico tot ist, ist er wie von Sinnen. Er schreibt keine Zeile mehr, obwohl er noch wenige Wochen zuvor wie besessen gearbeitet hat – als habe ein Neunundzwanzigjähriger nicht mehr lange zu leben! Stattdessen sitzt er nachdenklich im Laboratorium und sinnt über Gott und die Welt nach. Er betet stundenlang in der Kapelle, erscheint zu keiner Mahlzeit, isst kaum mehr als ein trockenes Stück Brot, trinkt keinen Wein und ist auch sonst sehr seltsam. Er hat sich in seinem Laboratorium eingeschlossen, während sein Neffe Gian Francesco Pico die Villa auf den Kopf gestellt hat.«
»Wie bitte?«, fragte ich. » Was hat er getan?«
»Der Conte hat den Signore beschwatzt, ihm Dokumente zu überlassen. Fragmente von Büchern, die der Signore begonnen, aber nicht fertig gestellt hat – und wohl auch nie fertig stellen wird. Gian Francesco Pico ist Philosoph – na ja, zumindest hält er sich dafür.« Der Majordomus holte tief Luft, um mir Zeit zu geben, über die Angemessenheit seiner Empörung nachzusinnen. »Wenn Ihr mich fragt: Der Conte hat die Manuskripte an sich genommen, um sie zu überarbeiten und als seine eigenen zu veröffentlichen. Das hat er schon einmal getan, vor einigen Monaten. Dieser Plagiator! Und der Signore schließt sich in seinem Laboratorium ein und tut, als bemerke er von alldem nichts.«
»Habt Ihr mit ihm gesprochen?«
»Selbstverständlich! Ich habe es versucht, aber er hat mir nicht zugehört. Er hat sich von so vielen Dingen getrennt in den letzten Wochen – weltlichen Dingen, meine ich. Es würde mich nicht wundern, wenn er zum ich weiß nicht wievielten
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