Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
mit verschränkten Armen in der Tür und beobachtete mich. Es war etwas in seinem Blick, das mich niederschmetterte, als hätte eine Faust mich getroffen. Ich begann zu weinen. Um ihn. Um mich selbst. Ich sank auf die Knie und kroch zu ihm, aber er wich mir aus. Ich fasste den Saum seines Habits und versuchte ihn zu küssen, aber er riss ihn mir aus den zitternden Fingern.
Ich lag vor ihm auf den Knien und weinte, schrie, tobte, bis keine Träne mehr in mir war. Ich war wie ausgetrocknet, rang nach Atem, bekam keine Luft. Mein Körper zuckte und zitterte, ich schlug wieder um mich, um die Spannungen zu lösen, die mich gefangen hielten und doch für meinen aufrechten Gang verantwortlich waren. Dann wurde ich ruhiger, lag schließlich still auf den Steinfliesen der Kapelle, die Arme weit ausgebreitet, die Stirn auf die kühlen Steine gedrückt – wie im Gebet. Wer auf dem Boden liegt, kann nicht tiefer fallen, dachte ich in diesem furchtbaren Augenblick.
Giovanni kniete sich neben mich und hob mich auf. Er trug mich in sein Schlafzimmer und legte mich vorsichtig auf das Bett. Dann zog er mich aus, deckte mich zu und ließ mich allein. Allein!
Eine Stunde später, als ich ruhig geworden war und auch er seine Selbstbeherrschung zurückgewonnen hatte, kam Giovanni zurück und setzte sich auf das Bett. Sein Gesicht sah aus, als habe auch er geweint.
»Ich will wissen, Caterina, nicht glauben«, flüsterte er sanft und strich mir über das tränennasse Gesicht. »Und ich will, dass du verstehst …«
Giovanni war so sinnlich, hatte ein so starkes Bedürfnis nach Geborgenheit, Zärtlichkeit und erotischer Ekstase, dass ich mich fragte, wie er die Gelübde überhaupt ertragen konnte.
»Ich verstehe es aber nicht, Giovanni. Warum willst du die Gelübde ablegen? Wozu fliehst du vor der Welt? Und vor mir?« Ich presste die Lippen zusammen, um nicht erneut in Tränen auszubrechen.
»Ich fliehe nicht vor dir, Caterina«, erwiderte er ruhig, aber bestimmt, als verkündete er die neunhundertste These der Conclusiones, »sondern ich folge dir auf deinem Weg. Und du bist mir so weit voraus, dass ich mit dir kaum Schritt halten kann.«
»Ich verstehe nicht …«
»Du bist nicht auf der Flucht vor dir selbst, deinen eigenen Ansprüchen an dich, ein vollkommenerer Mensch zu werden. Du willst niemand anderer sein als ›Der ich bin‹.
Du lebst ohne Blick in die Vergangenheit, denn die hast du bereits erschaffen, und ohne Visionen für die Zukunft, denn das, was sein könnte, würde dich nur ablenken von dem, was ist. Du lebst und genießt dein Leben mit jedem Atemzug. Du versuchst nicht, deine tiefen Gefühle zu unterdrücken. Du weißt, was Angst, Trauer und Wut sind, wie Schuld und Gewissen sich anfühlen. Wenn du lachst, lachst du so herzlich, dass du mich mit deiner Lebensfreude ansteckst, und wenn du weinst, dann weinst du so herzzerreißend, dass ich mit dir weine.« Er strich sich über die Wange, als könnte er noch immer die heißen Tränen fühlen, die er vorhin vergossen hatte. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle:
»Du liebst vollkommen, bist zärtlich und leidenschaftlich zugleich. Du bist der beste Freund, den ich mir vorstellen kann. Du akzeptierst die Menschen, wie sie sind. Es macht dir Spaß, sie durch treffende Bemerkungen herauszufordern, damit sie ihren Schild der Selbstbespiegelung senken, aber statt sie zu verletzen und in die Knie zu zwingen, bringst du sie dazu, über sich selbst nachzudenken.
Mir hast du den Spiegel aus der Hand gerissen, in dem ich versucht habe zu erkennen, wer ich bin. Du liebst mich trotz meiner Unvollkommenheit. Du liebst mich, obwohl ich dich verletzt habe. Du liebst mich, obwohl du weißt, dass du mich nie für dich haben kannst.« Er schwieg einen Augenblick. »Ich versuche so zu sein wie du, aber ich kann es nicht. Ich muss meinen eigenen Weg finden.«
»Die Via dolorosa durch das Dornengestrüpp von Armut, Gehorsam und Keuschheit?«, fragte ich leise. »Der Mensch ist nicht zum Leiden geboren, Giovanni. Will Gott, der dich scheinbar unvollkommen schuf und der dich liebt, wie du bist, dass du dich in einen Habit hüllst, die Sinnlichkeit deines Körpers verleugnest, dich geißelst, um deine Sinne und deine Gedanken durch Schmerz zu betäuben? Will Gott, dass du dich selbst verleugnest, alles was du warst und alles was du bist, dass du strenge Ordensregeln ohne Widerrede akzeptierst und dich zum Stundengebet in der Basilika vor Ihm auf die kalten Steine wirfst? Will
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