Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Mensch einem Leben Sinn geben? Wie kann er etwas tun, was du nicht selbst schaffst? Du verschenkst deine Verantwortung für dein Leben an einen anderen! Wirfst du ihm auch gleich deinen freien Willen, dein Gewissen und deine Menschenwürde hinterher, wenn du die Gelübde von Gehorsam, Armut und Keuschheit ablegst und damit vollkommen wirst?«, fragte ich zynisch. »Du wirst nicht vollkommen sein, Giovanni! Niemals! Fra Girolamo kann den Bann nicht aufheben.«
»Ich weiß«, flüsterte Giovanni resigniert.
»Dann lauf nicht wie dein Freund vor dem Leben und der Liebe davon, vergrabe dich nicht wie ein lebendiger Toter im Konvent. Bleib stehen und kämpfe, verdammt noch mal!«, schrie ich ihn an.
Er wich meinem Blick nicht aus: »Das habe ich lange genug getan. Gegen das Gelächter der Gelehrten, die mich für einen arroganten jungen Besserwisser hielten, gegen die Kirche, gegen die Verfolgung durch die Inquisition, gegen alles und jeden, der sich berufen fühlte, mich wegen meiner Irrtümer anzugreifen, ohne meine Thesen mit mir zu diskutieren. Mach mir also nicht den Vorwurf, ich hätte nicht gekämpft! Ich habe alle Schlachten geschlagen, die es zu schlagen gab. Ich bin müde, unendlich müde. Ich kehre dorthin zurück, wo ich hergekommen bin: Ich habe in Bologna mein Studium aufgenommen, weil ich Priester werden wollte. Gott will es so.«
»Er will es so?«, begehrte ich auf. »Giulio hat Er die Entscheidung überlassen, ob er Pater werden will oder nicht. Giulio hat das selbst entschieden. Ich kann nicht glauben, dass du deine Bestimmung Gott überlässt, Giovanni! Ich liebe dich«, schrie ich.
»Und ich liebe dich, Caterina.«
»Warum trägst du dann den Habit eines Mönchs?«
»Damit Er mir vergibt, wenn ich mich Seinem Willen unterwerfe.«
»Was hätte Er dir zu vergeben?«
»Dass ich dich mehr liebe als Ihn, Caterina«, sagte Giovanni leise. »Dass ich den Rest meines Lebens mit dir verbringen möchte, im Studium, im Disput, während wir das Opus vollenden. Und uns selbst.«
»Dann lass uns genau das tun, Giovanni«, forderte ich. »Lass uns einfach nur zwei Menschen sein, die einander lieben. Wir wissen alles, was es zu wissen gibt: dass wir uns lieben. Wozu brauchen wir den Stein der Weisen?«
»Er schenkt das Ewige Leben«, erinnerte er mich.
»Wozu brauche ich das Leben, wenn ich nicht lieben darf? Was ist das Leben ohne Liebe: die Einsamkeit, ein ewiges Suchen … nein, ich will nicht la gloire immortelle, Giovanni, ich will dich! «
Die Erkenntnis, dass Giovanni in seiner Verzweiflung nicht anders handeln konnte, war furchtbar. Seine Liebe zu mir hinderte ihn, sein Seelenheil zu finden. Seine Liebe zu mir machte das Opus Magnum unmöglich, an dessen Ende – mit Bernardo da Trevisos Buch schon in greifbarer Nähe – das Ewige Leben auf ihn wartete.
»Nein, Caterina, ich kann nicht! Ich werde heute Abend die Gelübde ablegen.«
Rasend vor Zorn rannte ich in das Laboratorium zurück, ergriff den Schürhaken des Athanors, stürzte in die kleine Kapelle nebenan und zertrümmerte den goldenen Crucifixus, warf die griechische Bibel auf den Boden, zerschlug die brennenden Altarkerzen. Das heiße Kerzenwachs spritzte auf die mit biblischen Szenen geschmückten Wände und rann wie gerinnendes Blut über Abrahams Opferung Isaaks und Hiobs Leiden an Gottes Unbarmherzigkeit.
Warum, zum Teufel, müssen wir die Menschen, die wir am meisten lieben, verletzen und demütigen, nur um ihnen zu beweisen, wie sehr wir sie lieben? Warum halten wir sie fest, fesseln sie, stellen unerfüllbare Forderungen, warum verwehren wir ihnen den freien Willen und die Würde, um die wir selbst jede Minute unseres Lebens ringen? Warum? Liebe ist nichts, was bewiesen werden muss. Sie stellt keine Bedingungen. Sie fordert nicht, sie ist langmütig, gütig, sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, erduldet alles.
Die Erkenntnis, dass ich mich in nichts, aber auch gar nichts, von meinem Bruder Piero unterschied, der in seinem verletzten Stolz um sich schlug, um wenigstens kämpfend seine Würde zu bewahren, ernüchterte mich, als hätte mir Giovanni eiskaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. Ich ließ den Schürhaken fallen und betrachtete schwer atmend mein Werk der Zerstörung.
Ich fühlte mich elend. Aber dennoch viel besser als vorher. Ich hatte das Gefühl, Gott wenigstens einige seiner grausamen Schläge zurückgegeben zu haben, die mich in den letzten Monaten beinahe zerbrochen hätten. Beinahe!
Giovanni stand
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