Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Streitpartner für Seine Selbstherrlichkeit zu sein, bin ich hier überflüssig«, schimpfte Angelo ungehalten. »Ich bin doch nicht Pieros Hofnarr, der sich seine zweideutigen Scherze über mich und meinen Geliebten nachsichtig lächelnd anhört und auf ein Zeichen Seiner Exzellenz applaudiert. Ich werde als Professor an der Universität lehren und in der ersten Zeit bei Giovanni wohnen, bis ich einen eigenen Palazzo gefunden habe. Gib dir keine Mühe, Caterina. Mein Entschluss steht fest! Niemand braucht mich hier.«
» Ich brauche dich, Angelo«, wandte ich ein.
Wenn selbst Lorenzos engste Freunde wie Angelo und Giovanni sich von Piero abwandten, dann war alles verloren! Wieso hatte mein Bruder sich bloß mit Angelo angelegt – mit dem gebildeten, liebenswürdigen Angelo? Was war zwischen den beiden geschehen? Ging es wieder einmal um Michelangelo, den Piero aus nicht ganz selbstlosen Motiven zu überreden versuchte, in den Palazzo zurückzukehren? Nicht nur, weil er ihn liebte, ihn besitzen wollte wie eine seiner herrlichen Statuen, sondern auch, weil Michelangelo seit Monaten zu Savonarolas Jüngern gehörte.
»Wenn du gesagt hättest, dass Piero mich braucht, hätte ich gezögert«, widersprach Angelo. »Aber du, Caterina, brauchst mich am allerwenigsten. Du hast seit Wochen keinen Unterricht mehr genommen, weil du dich entweder in deinem Laboratorium vergraben hast, um Lorenzo zu retten, oder weil du Piero bei seiner Machtübernahme unterstützt hast, um die Medici vor dem Untergang zu bewahren.«
Noch nie hatte ich Angelo so zornig erlebt. Seine Hände zitterten, und er kämpfte mit den Tränen. Seit mein Großvater Angelo wie einen Sohn in diesem Palazzo aufnahm, hatte er mit seinem »Bruder« Lorenzo hier gelebt. Angelo war Piero ein Onkel gewesen, ein Erzieher, ein Freund. Lorenzos Tod hatte Angelo tief getroffen. Aber erst Pieros Eifersucht brachte ihn dazu, aus dem Haus zu fliehen, das zwanzig Jahre lang sein Heim gewesen war.
Lorenzos Freunde mieden den Palazzo Medici. Die Mitglieder der Platonischen Akademie kamen nicht mehr, unsere Cousins Lorenzino und Giannino sprachen kein Wort mehr mit Piero, Giovanni hatte sich in seine Villa in Fiesole zurückgezogen, Michelangelo war schon im April geflohen, und nun verließ auch noch Angelo den Palazzo. Es war wie in einem Theaterstück auf der Piazza Santa Croce, wo sich kurz vor dem tragischen Ende der Aufführung die Bühne leerte …
Irgendwann würden Piero und ich allein sein in diesem riesigen, leeren Haus, das noch vor einem Jahr voller Leben war – vor einem Jahr, als ich beschlossen hatte, Caterina de’ Medici zu sein. In diesem Augenblick schwor ich mir, dass ich die Letzte sein würde, die Lorenzos Haus verließ. Selbst Piero würde vor mir gehen … nein: fliehen!
Als ich nach Cesares Aufbruch nach Pisa und Pieros Abreise nach Rom die Stille im Palazzo nicht mehr aushielt, ritt ich nach Fiesole. Ich setzte mich lieber mit meinen widerspenstigen Gefühlen für Giovanni und Cesare auseinander, um sie auf die eine oder andere Weise in die Knie zu zwingen, zu zerbrechen, damit sie mir nicht mehr wehtun konnten, als dass ich weiter in Lorenzos Arbeitszimmer herumsaß und die Totenmaske meines Vaters anstarrte oder ohne Angelo und Giovanni die Laurenziana aufräumte oder ohne Michelangelo im Garten von San Marco spazieren ging.
Irgendetwas musste ich tun, um dieser schmerzhaften Einsamkeit und dieser lähmenden Hoffnungslosigkeit zu entkommen, die schlimmer waren als jener Feuer speiende Drache, der in der letzten Nacht so friedlich neben mir geschlafen hatte.
Wie sehr freute ich mich nach dieser langen Zeit auf ein Wiedersehen mit Giovanni, auf ein gemeinsames Abendessen, auf einen Disput über eine seiner Thesen, auf ein langes Gespräch unter dem Kirschbaum in seinem Garten! Auf seine Hände, die meine hielten. Auf sein Lächeln. Auf einen magischen Augenblick, der uns alles vergessen ließ, was uns in den vergangenen Monaten auseinander gerissen hatte. Ich sehnte mich nach ihm. Ich hoffte, dass wir uns gegenseitig über Lorenzos Tod hinwegtrösten könnten, dass wir einander Halt geben würden. Dass wir die innere Ruhe wiederfinden würden. Und den Seelenfrieden. Und dass wir uns endlich unsere tiefen Gefühle füreinander eingestehen könnten, mit Worten und mit Zärtlichkeiten. Dass wir uns in die Arme des anderen fallen lassen könnten, ohne Angst, ins Bodenlose zu stürzen. Dass wir endlich, endlich lernen würden, uns zu lieben
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