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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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angeboten. Mein treuer, hoffnungslos verliebter Niccolò …
    Die Schreibfeder war stumpf geworden unter der Tintenflut meiner Worte. Ein erneutes Anspitzen mit dem silbernen Federmesser war sinnlos. Ich brauchte eine neue Feder. Ich erhob mich vom Bett und ging hinüber in Cesares Arbeitszimmer.
    Sein Schreibtisch bog sich unter einem Berg Bücher und einer Lawine von spanischen Briefen, italienischen Dokumenten und lateinischen Urkunden mit langen Siegelgirlanden. Agostinos Einladungskarte zu seinem abendlichen Bankett lag zwischen einem Brief der Diözese Pamplona und einem Schreiben von König Fernando an Papst Alexander, in dem er gegen Cesares Ernennung zum Kardinal protestierte.
    Cesare, der täglich mehrere Stunden seiner Korrespondenz widmete, hatte wegen seiner bevorstehenden Investitur seine administrativen Tätigkeiten als Erzbischof von Valencia nicht erledigen können. Am folgenden Abend sollten die Feierlichkeiten im Konsistorium der Kardinäle stattfinden – mit oder ohne Giuliano della Roveres Segen. Ich wusste nicht einmal, wo Cesare jetzt war: noch bei den Exerzitien in dem Kloster außerhalb von Rom, oder inspizierte er wegen der drohenden Invasion der Franzosen die päpstlichen Festungen in Umbrien? Seit Tagen hatte ich ihn nicht gesehen …
    Ich zog mir den Sessel heran und nahm vor seinem Schreibtisch Platz. Das Bündel Schreibfedern war unter einem Stapel Bücher und Folianten begraben. Vorsichtig, um den schiefen Turm nicht zum Einsturz zu bringen, nahm ich ein Buch nach dem anderen in die Hand, um es zur Seite zu legen: Francesco Petrarca, Geoffrey Chaucer, Aeneas Silvio Piccolomini …
    Ungläubig starrte ich auf das Buch, das ich in der Hand hielt. Mein Buch. Ich war zutiefst erschrocken und musste mich zusammenreißen, um nicht in Panik auszubrechen! Mit zitternden Fingern öffnete ich die ledernen Buchdeckel. Kein Zweifel: Es war das Notizheft, das Cesare mir in Florenz gestohlen hatte. Ich überflog Giovannis Notizen zu den Transmutationen, an denen er gearbeitet hatte, während ich mit Cantarella an mir selbst experimentierte und sterbenskrank in meinem Bett lag.
    Nur zwei Jahre waren seitdem vergangen, und doch schien es mein halbes Leben zu sein. Was war alles geschehen in diesen Monaten! Ich hatte einen Vater gefunden und verloren: Lorenzo war gestorben. Mein Bruder Gianni war Kardinal geworden und nach Rom gegangen, mein Bruder Piero regierte nun Florenz. Rodrigo Borgia war Papst geworden und Girolamo Savonarola Prophet. Giovanni hatte sein Seelenheil gefunden – und ich hatte meines verloren.
    Ängstlich presste ich das Notizbuch an meine Brust. Wieso, zum Teufel, lag es auf Cesares Tisch? Seit wann? Und: Sollte ich es finden? Wollte Cesare mir drohen, mir Angst machen? Wieder stieg in mir der Verdacht auf, er habe mich nach Rom gebracht, damit ich für seinen Vater das Opus Magnum durchführte, weil der Papst meine Notizen nicht verstehen konnte. In sechs Tagen, am 25. September 1493, war Vollmond, die Zeit, das Große Werk zu beginnen …
    Erschrocken schlug ich mir die Hand vor den Mund: die Zettel am Pasquino! Die Verse über La Cardinala! War Cesare der Verfasser? Hatte er in seinen Versen auf den purpurfarbenen Talar in meiner Reisetruhe angespielt? Hatte er Micheletto nachts die Zettel am Pasquino ankleben lassen, damit Gianni sie dort am nächsten Morgen abriss und zu mir brachte?
    Minutenlang saß ich wie erstarrt vor dem Schreibtisch, das Buch geöffnet auf meinen Knien. Die handbeschriebenen Seiten bewegten sich leise in der Abendbrise.
    Niemals hätten meine Aufzeichnungen in die Hände von Uneingeweihten fallen dürfen! In der Nacht meiner Initiation hatte ich geschworen, das Arkanum zu wahren und meine Kenntnisse im Sinne des Wissens, des Glaubens und der Wahrheit einzusetzen und zu vermehren. Der Verlust der geheimen Notizen konnte mein Todesurteil durch die Gilde der Alchemisten bedeuten!
    Was sollte ich tun? Was konnte ich denn überhaupt tun? Wenn die Gilde mich verurteilte und richtete, war auch Cesares Leben keinen Scudo mehr wert. Er hatte mir das Arkanum gestohlen. Und auch Giovanni – er war mein Maestro und trug für mich als seine Schülerin die Verantwortung – würde von seinen Freunden zur Rechenschaft gezogen werden: Sandro Botticelli, Leonardo da Vinci, Marsilio Ficino, Luciano Palmieri und all den anderen …
    Und selbst wenn mein Fehler unentdeckt blieb: Ich durfte Cesare und seinem Vater nicht die Macht in die Hand geben, über die ich als

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