Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Alchemistin verfügte. Ich konnte das Opus nicht beginnen … und doch könnte Cesare mich dazu zwingen! Es gab nur einen Weg: Ich durfte das Opus nicht beenden.
In der Nacht vor meiner Initiation hatte ich über zwei Thesen von Thomas von Aquino nachgedacht – »Glückseligkeit ist ein Akt des Intellekts« und »Alle Freiheit existiert im Verstand« –, ohne wirklich zu verstehen, was Giovanni mit ihrer Niederschrift in den Conclusiones gemeint hatte. Jetzt begriff ich plötzlich: die Wirklichkeit … die Wahrheit ist das, was ich selbst daraus mache.
Hastig räumte ich den Bücherstapel zur Seite, fegte einige gesiegelte Dokumente der Diözese von Valencia zu Boden und begann mit einer frisch gespitzten Feder und verwässerter Tinte – die Schrift im Notizbuch war schon etwas verblichen – meine eigenen Aufzeichnungen zu fälschen. Aus dem blassen Mondsymbol wurde eine Sonne, aus der Venus wurde Mars, und Jupiter wurde zu Saturn transformiert. Ich veränderte die Reihenfolge der Transmutationen, erhöhte die Temperatur des Athanors, verkürzte die Operationen, verlängerte die Wartezeiten um Stunden, Tage, Wochen.
Ich lächelte siegesgewiss, als meine Feder über das Pergament kratzte, hier und dort ein Ornament anfügte, da ein Symbol zu einem anderen transmutierte, als ich aus Allegorien Mysterien machte und aus Wahrheiten Lügen.
Meine Verschleierung der Wahrheit war fast beendet, als jemand an der Tür des Arbeitszimmers klopfte. Ich fuhr erschrocken auf und hätte beinahe das Notizbuch fallen lassen.
Gianni? Mein Bruder hatte versprochen, mich zum Abendessen abzuholen. Agostino Chigi hatte uns zu einem Bankett in den Weinbergen des Gianicolo eingeladen …
Es klopfte erneut. Energischer. »Signorina?«
Es war nicht Gianni! Vor der Tür von Cesares Arbeitszimmer stand Monsignor Burkhard, der päpstliche Zeremonienmeister. Und ich saß nur mit einem hauchzarten Seidenhemd bekleidet an Cesares Schreibtisch und wühlte in den geheimen Papieren des Erzbischofs. Monsignor Burkhard, ein Deutscher mit marmornen Grundsätzen, und ich, die Geliebte des Papstsohnes, waren schon einmal während eines päpstlichen Banketts aneinander geraten. Meine Anwesenheit im vatikanischen Palast war ihm ein schmerzhafter Dorn im Fleisch. Wenn er mich hier fand …
Ich verbarg das Notizbuch unter dem Buch von Geoffrey Chaucer und rannte mit fliegendem Hemd zurück in Cesares Schlafzimmer, wo ich mich auf dem Bett in Szene setzte.
Zögernd, mit verächtlich verzogenen Lippen, trat der Zeremonienmeister ins Schlafzimmer und sah auf mich herunter. So erfüllt von Hass und Zorn musste Augustus auf die sterbende Kleopatra hinabgesehen haben, als er sie gefangen nehmen und nach Rom schleppen wollte. Wenn ich Johannes Burkhard angedeutet hätte, einen Selbstmord ernsthaft in Betracht zu ziehen, um ihm im Vatikan das Schlachtfeld zu überlassen: Er hätte mir selbst die giftige Schlange gebracht.
Den Unwillen, mit dem ich von meinem Brief an Niccolò aufsah, musste ich nicht spielen. »Was ist?«, fragte ich kurz.
»Seine Heiligkeit bat mich, Euch zu fragen, ob Ihr Lust hättet, heute Abend mit ihm zu speisen«, formulierte er umständlich und mit ehrwürdiger Missbilligung dieses ausgefallenen päpstlichen Ansinnens. Sein Blick saugte sich am dünnen, schweißfeuchten Stoff meines Hemdes fest.
Eigentlich hatte ich mich auf das Wiedersehen mit Agostino gefreut, auf ein ausgelassenes Bankett mit Musik und Tanz – der berühmte Komponist Josquin Desprez hatte sein Kommen zugesagt –, auf eine warme, sternenklare Nacht in den Weinbergen und eine späte Rückkehr in den Vatikan. Aber ich konnte die Bitte des Papstes unmöglich abschlagen. Seufzend fügte ich mich in mein Schicksal: An diesem Abend würde ich nach einem Teller valencianischer Fischsuppe hungrig zu Bett gehen müssen. Bevor ich mich für das Diner mit dem Papst mit rotem Atlas und Diamanten schmückte, bestellte ich bei Cesares Koch ein spätes Abendessen, das mir in seinem Arbeitszimmer serviert werden sollte. Nur zur Sicherheit.
Der Kammerdiener, der mich eine Stunde später am Eingang der Papstwohnung in Empfang nahm, führte mich ins Arbeitszimmer Seiner Heiligkeit und schloss hinter mir die Tür. Ich war allein. Wo waren die anderen Gäste? Wo war Papst Alexander?
Das Arbeitszimmer war einfach eingerichtet – ein gepolsterter Stuhl, ein breiter Schreibtisch, davor zwei Sessel. Maestro Pinturicchios Farbeimer und Mörtelsäcke waren verschwunden, die
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