Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
mich kurz entschlossen an irgendjemanden, der ihm nicht gefährlich werden konnte …
Und wenn Piero Lorenzos Brief nun einfach verbrannte? Dieser Gedanke war so furchtbar, dass er mir den Atem nahm. Ich könnte nie beweisen, dass ich Lorenzos Tochter war – es wäre, als hätte ich, Caterina de’ Medici, niemals existiert! Ich, Caterina Vespucci, wäre eine Lügnerin, eine Erbschleicherin, die in den Palazzo gekommen war, um den Magnifico zu beerben. Starb nicht Lorenzo wenige Monate, nachdem ich aufgetaucht war? War er nicht noch Wochen vor seinem Tod gesund und fröhlich gewesen, hatte er nicht sogar noch mit Lucrezia Donati getanzt, gelacht und geliebt? Hatte ich ihm nicht immer wieder heimlich Phiolen mit einer geheimnisvollen, goldschimmernden Flüssigkeit gegeben? Das Wort »Mord« würde wie das Schwert des Damokles über mir hängen. Zudem war doch seit Jahren bekannt, dass Simonetta Vespucci zwar eine Affäre mit Giuliano hatte, nicht aber mit Lorenzo! Und außerdem starb Simonetta an der Schwindsucht und nicht während der Geburt einer Tochter. Ich, Caterina mit dem hässlichen Tintenfleck als Herkunftsbezeichnung, existierte also nicht, weil ich nicht existieren konnte!
Ich brach auf dem kalten Steinboden vor der Truhe zusammen und barg das Gesicht in meinen zitternden Händen. Piero hatte mir meinen Vater gestohlen! Meine Vergangenheit … und meine Zukunft! Er konnte mit mir tun, was er wollte: mich verbannen, mich des Mordes an Lorenzo anklagen, mich töten lassen. Niemand würde ihn dafür jemals zur Rechenschaft ziehen:
Denn ich, Caterina die Namenlose, existierte ja nicht!
Piero hatte den Assassino nach Mailand geschickt, um mich aus dem Weg zu schaffen!
Ich muss hier verschwinden, so schnell wie möglich!, war mein erster Gedanke, als ich hinter mir ein Geräusch an der offenen Tür hörte: »Caterina?«
Ich fuhr herum, meinen Dolch in der Hand.
Es war nicht Piero.
»Lionetto!«, rief ich erstaunt. »Wo kommst du denn her?«
Mein Cousin hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit Michelangelos Schneemann, als er sich die Schneeflocken aus den Haaren strich: »Aus Mailand. Als ich von deiner und des Herzogs Flucht hörte, bin ich sofort nach Florenz aufgebrochen. Ich bin eben erst angekommen. Caterina, ich muss dringend mit dir sprechen!« Lionetto schloss mit einem Tritt die Tür hinter sich. »Allein.«
»Was ist denn los?«, fragte ich alarmiert.
Lionetto war mir von Lyon nach Mailand entgegengereist, als er von meiner Einladung zu Maximilians Hochzeit hörte. Und als er mich dort nicht sprechen konnte, war er mir durch den Schneesturm bis Florenz nachgeritten. Was war denn so wichtig? Hatte er von Pieros Plänen, mich zu ermorden, gewusst? War er vielleicht sogar eingeweiht gewesen?
Lionetto stand zwischen mir und der geschlossenen Tür …
»Können wir uns hier ungestört unterhalten?«, fragte er, während er die Tür des Laboratoriums verriegelte und einen Schritt auf mich zukam.
Als ich vor ihm zurückwich, blieb er verdutzt stehen und betrachtete den blitzenden Dolch in meiner Hand, der auf seine Kehle gerichtet war. »Caterina, um Gottes willen!«, protestierte er. »Ich weiß von dem Anschlag auf dich im Castello Sforzesco! Ich versichere dir: Ich habe damit nichts zu tun!« Er zog seinen Dolch und warf ihn auf den Arbeitstisch, dann trat er mit erhobenen Händen einige Schritte zurück. »Ich will dich nicht ermorden«, versicherte er mir. »Und derjenige, der mich schickt, auch nicht.«
»Wer ist das?«, fragte ich, ohne meinen Dolch zu senken.
»Weißt du, wer Guillaume Briçonnet ist?«, begann er umständlich.
Ich nickte: »Er ist Erzbischof von Saint-Malo und Kanzler des Königs von Frankreich. Und beinahe wäre er Kardinal geworden.«
»Er war bei mir. In Lyon.«
»Verkauft die Filiale der Banca Medici in Lyon neuerdings Kardinalshüte?«, fragte ich ironisch. »Du bist Filialleiter, und ich will dir in deine Geschäfte nicht hineinreden, Lionetto, aber …«
»Hast du gehört, was ich gesagt habe, Caterina? Kanzler Briçonnet war bei mir, nicht ich bei ihm .«
»Und was wollte er?«, fragte ich misstrauisch.
Scheinbar belustigt von meiner Naivität hob Lionetto beide Hände zu einem »Na, was könnte er wohl wollen?«
»Er wollte Geld«, fügte er schließlich an, als ich nicht reagierte.
»Will er sich eine Purpursoutane kaufen ?«, fragte ich.
»Nicht nur das Kardinalat, Caterina. Ganz Italien.«
»Lionetto, ich schätze deine Fähigkeiten als Bankier, aber
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